Ostfriesensünde
wichtig,
dass man sie arbeiten ließ. Er nannte das: »Dem Äffchen ein Zückerchen geben«.
Sie würden sich damit beschäftigen und dabei die eigentlichen Zusammenhänge aus den Augen verlieren. Sie waren so dumm und sie hielten sich für so schlau.
Er spielte mit ihnen.
Als Peter Grendel die Schritte auf dem Boden hörte, fuhr er hoch. Er bekam plötzlich einen Anflug von schlechtem Gewissen. Er war immer noch sehr überzeugt davon, dass das, was er hier tat, richtig war und hoffentlich half, einen schrecklichen Killer endlich zu stoppen, aber er war sich auch bewusst, dass die ganze Geschichte sehr missverstanden werden könnte.
Er war froh, dass Weller und Rita Bescheid wussten. Es gab Geheimnisse, die teilte er lieber mit anderen, als sie für sich zu behalten. Dies war so eines.
Peter Grendel sah nach, wer gekommen war. Er kannte den Mann nicht, aber etwas an seiner Art sagte Peter, dass der Mann nicht aus Norden war.
»Moin«, sagte Peter und wartete auf eine Reaktion.
»Ich bin der Schorsch.«
»Der Schorsch? Na, schön für Sie.«
Peter Grendel kannte keinen Schorsch und wurde misstrauisch.
»Ich bin der Schwager. Meine Schwester hat mir so von ihrem Neubau vorgeschwärmt, da musste ich einfach mal gucken. Das ist doch in Ordnung, oder?«
Peter Grendel zuckte kurz mit den Schultern, musterte den Besucher aber so eindringlich, dass dieser fragte: »Mein Schwager hat Ihnen doch gesagt, dass ich vorbeikomme, oder hat er das wieder vergessen, die alte Knalltüte?«
»Nö«, log Peter Grendel. »Der hat Bescheid gesagt.«
Etwas stimmt mit dem Mann nicht, dachte Peter Grendel.
Oder bin ich jetzt ungerecht und übernervös, weil ich gerade Ann Kathrin eingemauert habe? Was soll ich machen, wenn sie gleich losschreit, hol mich hier raus?
Er musste den Mann so schnell wie möglich loswerden.
»Sie kennen das ja sicher. Betreten der Baustelle verboten.«
Sein Gegenüber lachte. »Klar, und Eltern haften für ihre Kinder.«
Der Mann schritt jetzt die frisch gemauerte Wand ab. Er sah die Kühltasche, den Teller mit den Hühnerschenkeln. Die Thermoskanne, den Campingstuhl und den Vorschlaghammer.
Peter Grendel glaubte dem Mann anzusehen, dass er versuchte, sich einen Reim aus den Umständen zu machen. Aber Peter war sich sicher, dass die Sache, um die es hier ging, viel zu abgefahren war, als dass jemand durch Kombinieren daraufkommen könnte. Es sei denn, Ann Kathrin machte sich bemerkbar …
Ich könnte den Hammer nehmen und Peter Grendel damit ausknocken. Wie lange wird es dauern, bis Ann Kathrin in ihrem Verlies verreckt ist? Aus der Sache kommt er unmöglich heraus. Es wird aussehen, als ob sie sich bis zum Schluss gewehrt hätte. Damit ist seine Kopfwunde erklärt.
»Ich muss Sie jetzt bitten zu gehen, Herr … «
»Sie können einfach Schorsch zu mir sagen, das sagen alle.«
Peter Grendel machte zwei Schritte auf den Mann zu, um ihn aus dem Rohbau zu drängen. In der Tat wich der Mann nach hinten aus. Er griff in seine rechte Jackentasche, und seine Finger spielten darin mit einem länglichen Gegenstand. Es reichte ihm zu wissen, dass er es jederzeit tun könnte, das beruhigte ihn fast so sehr wie die vollendete Tat selbst.
Ann Kathrin rutschte nah an die feuchte Mauer und presste ihr Ohr dagegen. Redete Peter da mit jemandem oder hatte er ein Radio an? Sie konnte sich nicht daran erinnern, ein Radio bei ihm gesehen zu haben.
Ihr Sohn Eike hörte den ganzen Tag Musik. Hit Radio Antenne war in seinem Zimmer eine Art ständiges Hintergrundgeräusch, wie das Brummen einer Aquariumpumpe, nur natürlich viel lauter.
Jetzt, in der völligen Dunkelheit, sah sie mit seltener Klarheit Bilder der Vergangenheit, mit einer Schärfe und Helligkeit, die sie zusammenzucken ließ.
Sie fühlte sich plötzlich so schuldig und so sehr als Versagerin, weil ihr Sohn ausgezogen war. Kinder gehörten zu ihren Müttern, dachte sie trotzig, und gleichzeitig regte sich Widerspruch in ihr. Wieso eigentlich? Sie wäre bei einer Trennung auch mit ihrem Vater gegangen. Ohne jede Frage. Sie war eine Vatertochter. Sie hatte immer zu ihm gehalten, sich innerlich mit ihm verbündet und identifiziert. Jetzt fühlte sie sich deshalb ihrer Mutter gegenüber mies, fast als hätte sie ihr Geschlecht verraten.
Der Gedanke, etwas stimme nicht mit ihr, wurde übermächtig in Ann Kathrin. Ein Teil von ihr litt an Schuldgefühlen, ja, wurde von ihnen fast weggespült, ein anderer Teil, die professionelle Kommissarin,
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