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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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Lübecker Vorort aufgewachsen.«
    »Dann kannst du es dir nicht vorstellen.« Er schob ein paar Salatblätter auf seinem Teller hin und her. »Wenn mein Vater wenigstens offen beschuldigt worden wäre! Aber da waren immer nur diese Blicke. Die anderen Kinder hatten plötzlich keine Zeit oder keine Lust mehr, sich mit mir zu verabreden. Einmal hatte jemand, als wir nicht da gewesen waren, gegen all unsere Fensterscheiben gespuckt.«
    »Konntet ihr nichts dagegen tun?«
    »Doch.« Er lächelte böse. »Wegziehen. So ein Dorf hat seine eigenen Gesetze. Es gibt Dinge, über die weiß jeder, der zur Gemeinschaft gehört, Bescheid, doch sie dringen nicht nach außen, niemals. Eine Art stillschweigende Übereinkunft. Und obwohl wir noch mittendrin wohnten, waren wir mit einem Mal draußen. Du kannst nicht gegen etwas vorgehen, was offiziell gar nicht vorhanden ist.«
    »Verstehe.« Pia steckte sich ein Stück Paprika in den Mund. Es knackte, als sie daraufbiss. »Aber irgendeine Möglichkeit muss es doch geben zu erfahren, was die Leute so denken.«
    »Wenn du genügend Druck ausübst, findest du mit etwas Glück das schwächste Glied in der Kette. Oder du suchst dir jemanden, der weder richtig dazugehört noch ganz außen vor ist.« Er grinste andeutungsweise. »Von welchem Ort sprechen wir jetzt?«
    »Ich kann nicht darüber reden.«
    Lars sah sie neugierig an. Eine Spur mitleidig, wie ihr schien. »Gerettet«, sagte er, als die Bedienung wieder am Tisch aufkreuzte. »Da kommt unser Hauptgericht.«
    Die ersten Minuten aßen sie schweigend. Erst beim Kauen und Schlucken wurde Pia bewusst, dass sie geradezu ausgehungert war. Irgendetwas lief schief in ihrem Leben. Immer nur arbeiten, nach Hause hetzen, alles auf die Reihe bekommen wollen. Und doch nie das Gefühl haben, es sei gut genug. Für Felix. Dabei sah er puppenzufrieden aus, wie er im Kinderstuhl neben ihr saß und mit seiner angelutschten Scheibe Brot spielte. Hatte Susanne recht? Maß sie sich unbewusst an einem unzeitgemäßen Mutterbild? Pia wusste, dass sich angeblich gerade deutsche Frauen schwer damit taten, Beruf und Kinder miteinander zu vereinbaren. Französinnen oder Schwedinnen hatten damit weniger Probleme. War dieses Bild der aufopferungsvollen Mutter nicht ein Relikt aus dem Nationalsozialismus? Das konnte doch nichts mit ihr, Pia, zu tun haben.
    Sie betrachtete ihr Gegenüber. Lars war bestimmt auch enttäuscht gewesen, wie abrupt der Samstagabend geendet hatte. Christian Klarholz, sie war sich inzwischen sicher, dass er der »Chris« auf dem Landy-Treffen gewesen war, hatte die Situation verdorben. Nein, nüchtern betrachtet, war sie selbst es gewesen, die es vermasselt hatte. Da war die dumme Angst, sich auf einen neuen Mann einzulassen, mit den chaotischen Erfahrungen, die sie gemacht hatte. Die Chance, dass eine Beziehung dauerhafter war als die vorhergegangene, war doch ausgesprochen gering. Pia wusste noch, wie unsicher sie sich damals gefühlt hatte, als ihre Mutter aus heiterem Himmel einen Mann mit nach Hause gebracht hatte. Ein fremder Mann, der mit am Abendbrottisch saß. Eine existenzielle Bedrohung, nachdem sie in ihrem bisherigen, fünfjährigen Dasein stets die Hauptperson im Leben ihrer Mutter gewesen war.
    »Ich fand es schön mit dir am Wochenende«, sagte Pia, zurück im Hier und Jetzt. Es war alles andere als der richtige Moment zum Grübeln.
    Lars lächelte. »Und ich fand es schade, dass wir gestört worden sind.«
    Pia nickte. Und ohne weiter nachzudenken, fragte sie:
    »Der Typ mit dem blauen Land Rover, der die Scheinwerfer auf uns gerichtet hat. Kennst du den näher?«
    »Nein. Wieso?«
    »Ich hab ihn heute wiedergetroffen. Bei uns im Kommissariat.« Sie sah, wie er zusammenzuckte. Lars schien schon bei dem Wort »Kommissariat« innerlich Abstand von ihr zu nehmen. Aber es musste sein. »Das ist jetzt vertraulich: Es kann sein, dass er etwas mit einer unserer Ermittlungen zu tun hat.«
    »Das ist deine Angelegenheit, Pia.«
    »Ich wollte nur klären, ob das ein Problem ist. In Bezug auf uns, meine ich.«
    »Uns?«
    Ihre Augen wurden schmal. »Essen wir hier gerade zusammen, oder halluziniere ich das nur?«
    »Bist du am Samstag bloß deshalb mitgekommen, weil du diesen Typen, Chris, beobachten wolltest? Observieren, oder wie nennt man das?«
    »Nein! Ich hatte keine Ahnung, dass er da sein würde. Ich wusste ja nicht einmal von seiner Existenz! Ich habe nur deinetwegen im Gelände meinen Hals riskiert.«
    »Tatsächlich?«

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