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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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überreizten Boden herum, kämmte und striegelte ihn, zog immer tiefere Scheitel in die Erdoberfläche.

    Einhundert Wörter, mehr als einhundert Wörter gab es im Arabischen für »Sand«. Das hatte Irene Julia erzählt, Irene, eine Superschlaue, die nun schon seit zwei Jahren in irgendeinem Emirat als Landschaftsarchitektin versuchte, die Wüste zum Blühen zu bringen. Wenn es im Arabischen eine solche Wörterfülle für »Sand« gab, so viele Begriffe und Bilder, dann, fand Julia, verdiente der Regen in Mecklenburg-Vorpommern mindestens ebenso viele. Unwetterregen, Morgenregen, Schnürregen, versinkender Regen, Nieselregen, Plätscherregen und Peitschenregen, Rauschregen und Rieselwasser, Dumpfregen und salziger Meerregen, peitschende Küstenschauer und sanftes Hügelregenwehen, Bergezerfließen... Wenn sie einmal damit angefangen hatte, fielen ihr immer mehr Wörter ein. Julia Völcker gelang etwas mit der Natur, was anderen glückte, wenn sie an ihre Liebsten dachten.

    Ach du Malvine Tausendschön Malvine Hundert-
namen. Seit ich dich kenne
Gold’ne Frau, seit ich dich sah, begriff und ehrte,
Sind Ritter Brüder mir, kauft’ gern ich Schwerter,
Schild und Bogen,
Den Tapferen markierte ich, den Räubern wehrte ich,
Zu gern hätt’ ich mich als Prinz Eisenherz in dein
schattenkühles Herz gelogen.

    Doch schau Malvine Tausendtraum Malvine Feder
schwer. Es ist die Zeit nicht
Fürs Turnier. Die Ritter und die Knappen, die Helden
und die Drachen,
Sind lange fort, sind bloß Objekte in Lektionen.
Heutzutage dichten sie nicht, sie seufzen und sie
sterben nicht
Für dich nicht und für Liebe nicht - es war zu lange
Krieg.

    Ach du Malvine Einzigherz, ich könnte für dich
leben. Das habe ich
du Lebensbaum du Freudentau du Morgenglück du
Ewigtraum noch keiner Frau dahingeraunt.
Dir würde ich Gärten graben, Felder furchen, in
Kanzleien brav die Listen führen.
Dem Gerichtsvollzieher trotzte ich, das Whiskey
Trinken ließe ich
Von Montag bis Mittwoch jedenfalls! Ein durchschitt
licher Kerl regt an, ihn zu verführen.

    Ketziner Heldenmut, 1924
    Wieder ein Gedicht mit drei Strophen, wieder nur ein Entwurf. Julia dachte, wie zerrissen Ladestein zum Zeitpunkt
der Niederschrift gewesen sein mußte. Das Gedicht fiel in dieselbe Zeit wie seine berühmten Antikriegsgedichte, wie die »Weltuntergangsballaden aus dem trunkenen Berlin«. Sobald Ladestein von seiner Malvine sprach, vergingen ihm alle Leichtigkeit, aller Wortwitz und alle Ironie. Ladestein verlor seine Fähigkeit, mit routinierter Schnoddrigkeit vor sich hinzureimen; in der Liebe zu dieser Malvine wurde er wieder zum literarischen Amateur. Entsprach dieser Anfängerunsicherheit im Schreiben auch die im Leben? Jeanette hatte bisher noch keine biographische Spur von Malvine finden können, und das neue Gedicht hier verriet nichts Zusätzliches über diese Frau. Vielleicht, weil er nichts über sie wußte? Oder weil er mit seinen eigenen Gefühlen zu sehr beschäftigt war? Oder war Malvine für ihn letztlich nur ein Spiegel, eine leere, wenngleich glänzende Fläche für seine eigenen Wünsche und Ängste?

    Fest setzte Julia einen Fuß vor den anderen. Noch vor Einbruch der Dunkelheit wollte sie Nebel erreichen, das südlich gelegene Dorf der Insel.
    Sie wählte den Weg links hinunter vom Haus, am Fuße des Föhrenwaldes vorbei, den Fuhrmannsweg entlang und parallel zum Bodden. Das Heimatmuseum war geschlossen, Arbeiter machten das Gebäude winterfest, packten den ausgestopften Greifvogel ein, der die Saison über das Portal geschmückt hatte, räumten die Schaukästen leer, in denen noch immer Vorträge vom Juni angekündigt waren. Die Arbeiter grüßten, sie räumten sonst den Unrat am Strand fort. Hinter ihr klapperte es leise: die Müllabfuhr.
    Das erste Mal war sie nicht schlecht erschrocken, als sie die verwegene Bande sah. Die Beseitigung des Hausmülls erledigte auf der Insel natürlich ein Pferdegespann, zwei Haflingerponys waren es, die dem Fuhrmann Wagner aus Godshorn gehörten. Der Mann war seltsam: groß und stark
verwachsen, und bei irgendeinem Schiffsunfall, von dem die Dorfbewohner nur im Flüsterton erzählten, hatte er seinen linken Arm verloren. Den entsprechend leeren Ärmel seiner dreckstarrenden Jacken ließ er einfach hängen, so daß, wenn die Ponyfuhre Fahrt gewann, er wild hinter ihm herflatterte.
    »Hei-ho, Hansi, Hei-ho!«
    Seiner Stimme verdankte er den Spitznamen: Nebelkrähe. Die Kutschpferde Hansi und Pepe

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