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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ich habe sie zu deutlich sichtbar gemacht, zu kraß.«
    Sie spähte in die Richtung. Trotz seiner Unzufriedenheit hatten die Berge etwas Fesselndes, zumal sie die einzigen Erhebungen in dieser weiten, flachen Landschaft waren. Wenn die wirklichen Berge ihnen auch nur entfernt ähnlich sahen, konnte sie verstehen, wie sehr sie die Vorstellungswelt von !Xabbus Volk beherrschen mußten.
    Renie strich abermals über ihre Ohrringe und betastete dann die Eierschalenketten an ihrem Hals. »Was ist mit mir? Sehe ich mir auch so ähnlich wie du dir?«
    Er schüttelte den Kopf. »Damit hätte ich mich übernommen. Nein, meinen Sim habe ich in einem früheren Projekt an der TH zusammengebastelt. Ich habe ihn für diese Demonstration mit hineingenommen, aber im Augenblick habe ich nur zwei andere Sims, einen Mann und eine Frau. Sie sollen so aussehen wie ein Mann und eine Frau meines Volkes.« Sein Lächeln war traurig und ein wenig bitter. »An diesem Ort werde ich jedenfalls dafür sorgen, daß niemand anders als Buschleute das Buschmannland betritt.«
    Er führte sie einen sandigen Hang hinunter, tiefer in die Pfanne hinein. Fliegen brummten träge. Die Sonne brannte so stark, daß Renie sich nach einem Schluck Wasser sehnte, obwohl sie bestimmt noch keine halbe Stunde in den Tanks waren. Trotz ihrer Abneigung gegen Nadeln wünschte sie fast, sie hätten die Flüssigkeitsversorgung angeschlossen.
    »Hier«, sagte !Xabbu . Er hockte sich auf die Fersen und fing mit dem stumpfen Ende seines Speers zu graben an. »Hilf mir.«
    »Wonach suchen wir?«
    Er gab keine Antwort, sondern konzentrierte sich aufs Graben. Die Arbeit war hart, und die Sonnenhitze machte sie noch anstrengender. Eine Weile vergaß Renie völlig, daß sie sich in einer Simulation befanden.
    »Da.« !Xabbu beugte sich vor. Mit den Fingern scharrte er etwas am Grund des Loches frei, das wie eine kleine Wassermelone aussah. Er zog es triumphierend hervor. »Das ist eine Tsama. Diese Melonen erhalten meine Leute im Busch am Leben, wenn die Quellen in der Trockenzeit kein Wasser mehr geben.« Er nahm sein Messer und schnitt die Melone oben auf, dann wischte er das Speerende sauber und stieß es in die Melone. Er handhabte es wie einen Mörser, bis das Innere der Frucht ein flüssiger Brei war. »Jetzt trink«, sagte er lächelnd.
    »Aber ich kann nicht trinken – oder wenigstens kann ich nichts schmecken.«
    Er nickte. »Aber wenn meine Simulation fertig ist, wirst du trinken müssen, ob du etwas schmeckst oder nicht. Wer in diesem harten Land nach der Art meines Volkes leben will, muß sich abmühen, um Wasser und Nahrung zu finden.«
    Renie nahm die Tsamaschale und hielt sie sich mit der Öffnung nach unten über den Mund. Ihr Gesicht blieb eigenartig empfindungslos, aber am Hals und Bauch spürte sie kleine nasse Spritzer. !Xabbu nahm sie ihr ab, sagte etwas voller Klicklaute und Triller, das sie nicht verstand, und trank ebenfalls aus der Melone.
    »Komm«, sagte er. »Es gibt noch mehr, was ich dir zeigen möchte.«
    Sie erhob sich, erfüllt von einer gewissen Unruhe. »Das hier ist wunderbar, aber Jeremiah und mein Vater werden sich um uns Sorgen machen, wenn wir zu lange bleiben. Ich habe ihnen nicht gesagt, wie sie unsere Unterhaltung mithören können, und ich bezweifle, daß sie es allein rauskriegen. Unter Umständen versuchen sie sogar, uns rauszuziehen.«
    »Da ich wußte, daß ich dir dies hier zeigen wollte, sagte ich ihnen, wir würden vielleicht länger bleiben, als du geplant hattest.« !Xabbu sah sie einen Moment lang an, dann nickte er. »Aber du hast recht. Es ist egoistisch von mir.«
    »Nein, ist es nicht. Das alles ist wunderbar.« Sie meinte es ehrlich. Auch wenn er es aus anderen Modulen zusammengestückt hatte, war er als Virtualitätstechniker unglaublich talentiert. Sie konnte nur beten, daß seine Freundschaft mit ihr ihm nicht zum Verhängnis wurde. Nachdem sie nur dieses kleine Bißchen gesehen hatte, erschien es ihr als Verbrechen, wenn sein Traum sich nicht erfüllen würde. »Es ist wirklich großartig. Ich hoffe, ich darf hier eines schönen Tages einmal viel mehr Stunden verleben, !Xabbu .«
    »Haben wir noch ein wenig Zeit? Es wäre mir wichtig.«
    »Natürlich.«
    »Dann komm noch ein Stückchen weiter.« Er ging voraus. Obwohl sie, wie es schien, nur wenige hundert Meter zurückgelegt hatten, waren die Berge auf einmal viel näher gerückt und ragten vor ihnen auf wie strenge Eltern. In ihrem Schatten stand ein kleiner Kreis

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