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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Pauls Begleiter lediglich einen kurzen Aufwärtshaken ans Kinn, so daß Paul, der einige Schritte hinter ihm kam, einen Satz über den zusammengesackten Gardisten machen mußte.
    Das ist alles wie aus einem alten Film, dachte er, einem Melodrama aus Tausendundeine Nacht, und einen Augenblick lang eröffnete sich ihm bei diesem Gedanken ein ganzes inneres Panorama im Kopf, Erinnerungen an zahllose Dinge und Namen und Ideen, als ob jemand die Tür zu einer großen Bibliothek weit aufgestoßen hätte. Da rutschte er auf dem gebohnerten Fußboden aus und wäre beinahe kopfüber auf die Steinfliesen gefallen. Als er sich gefangen hatte und wieder hinter Brummond hereilte, war der Nebel im Kopf erneut aufgezogen. Aber er wußte jetzt, daß etwas dahinter war, daß diese Verdüsterung nicht sein natürlicher Zustand war. Er fühlte Hoffnung in sich aufwallen.
    Brummond machte vor einem hohen Torbogen Halt, der von einer schweren Tür verschlossen war. »Hier ist es«, sagte er. Der Lärm der Verfolgung und die Schreie der bestürzten Palastbewohner waren hinter ihnen zu einem einzigen anschwellenden Getöse verschmolzen. »Glauben Sie nicht alles, was Sie hier drinnen sehen, und verlieren Sie nicht den Kopf. Außerdem, töten Sie ja niemand! Die Priester des Sumbars haben ein verteufelt langes Gedächtnis!« Ohne eine Antwort abzuwarten, warf er sich mit der Schulter gegen die Tür. Sie schepperte in den Angeln, aber ging nicht auf. Brummond ging einen Schritt zurück und trat dagegen. Die Tür bebte und fiel nach innen; der Riegel war innen gebrochen.
    Ein paar Marslinge in weißen Gewändern, die anscheinend schon beim ersten Angriff auf die Tür herbeigeeilt waren, um nachzusehen, standen unmittelbar hinter der Schwelle. Brummond warf sie über den Haufen wie Kegel. Als Paul ihm folgte, sprang ihn ein anderer an, der hinter der Tür gelauert hatte. Paul schlug ihn mit dem Griff des Saldschaks bewußtlos.
    »Langsam kriegen Sie den Bogen raus!« schrie Brummond. »Auf ins innere Heiligtum.«
    Sie sausten durch einen weiteren langen Korridor mit mächtigen Statuen der gleichen tierköpfigen Wesen links und rechts, die den Wandteppich geschmückt hatten, und brachen dann durch die nächste Tür, in dem Fall wenig mehr als ein symbolischer Wandschirm, hinter dem ihnen ein Schwall heißer, dunstiger Luft entgegenschlug. Sie befanden sich in einem großen Gelaß. Ein in Dampf gehüllter Zierteich füllte die Mitte des Raumes aus. Mehrere andere Priester, diese jedoch mit goldenen Tiermasken vor dem Gesicht, blickten bei ihrem gewaltsamen Eindringen bestürzt auf.
    Brummond rannte um den Rand des Teichs, wobei er kurz stockte, um einen der maskierten Priester ins Wasser zu schleudern. Das Platschen wirbelte den Dunst auf, und eine Zehntelsekunde lang konnte Paul deutlich bis ans andere Ende des Raumes sehen. Die geflügelte Frau lag schlaff auf einer Bank, das Kinn auf der Brust, das dichte, dunkle Haar nach vorn hängend, so daß es fast ihr Gesicht verbarg – aber es war sie, das wußte Paul ohne jeden Zweifel. Ein furchtbarer Schreck durchfuhr ihn, als er sah, wie leblos sie dalag. Dieses ganze irrwitzige Abenteuer war nur zu ihrer Rettung veranstaltet worden – aber war er zu spät gekommen?
    Er lief los. Zwei zischende Priester stiegen vor ihm aus dem Nebel auf und schwenkten lange, dünne Dolche. Er warf sie mit dem waagerecht vor sich gehaltenen Saldschak zurück und trat beim Weitereilen noch auf einen von ihnen drauf. Brummond hielt auf der anderen Seite des Teiches drei weitere langgewandete Angreifer mit seinem Säbel in Schach. Paul tauchte unter dem Dolchstoß eines Priesters hindurch, versetzte einem anderen einen Rückhandschlag, der ihn lang auf die Fliesen streckte, und war mit wenigen Schritten an der steinernen Bank. Er nahm den Kopf der Frau in die Hand, hob ihn leicht an. Ihre blaßblaue Haut war warm, ihre Augen halb geöffnet. Sie stand unter irgendwelchen Drogen – aber sie war am Leben. Er wurde von einer heftigen Freude erfaßt, einem Gefühl, das ebenso fremdartig wie mächtig war. Er hatte jemand gefunden, die ihm etwas bedeutete, die vielleicht etwas darüber wußte, wer er war, woher er kam.
    »Oh, Menschenskind, Jonas, worauf warten Sie noch? Soll ich hier die ganze Nacht mit diesen Grünhäuten Säbeltänze aufführen?«
    Paul beugte sich vor, um sie hochzuheben, aber stellte fest, daß ihre Hände an die Bank gekettet waren. Brummond hielt immer noch das Priestertrio mit seinem Säbel in

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