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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ich.«
     
    »Ich wünschte, einer von uns hätte gewisse medizinische Kenntnisse.« Sie beäugte mit einem gewissen Widerwillen die Infusionskanüle, die unter einem dünnen Streifen durchlässiger Latexmembran in ihrem Arm steckte. »Ich bin nicht sehr glücklich darüber, das hier nach einem Handbuch machen zu müssen. Und nach einem Militärhandbuch obendrein.«
    Jeremiah zuckte mit den Achseln, während er die gleiche Operation an !Xabbus dünnem Arm vornahm. »Es ist nicht so schwer. Meine Mutter war in einen Autounfall verwickelt und hatte eine Wunde, die dräniert werden mußte. Das habe ich alles selber gemacht.«
    »Es wird schon gehen, Renie«, sagte !Xabbu . »Du hast alles sehr gut vorbereitet.«
    »Ich hoffe es. Aber irgendwas vergißt man doch immer.« Sie ließ sich vorsichtig in das Gel ab. Erst als sie ganz drin war, zog sie ihre Unterwäsche aus und warf sie über den Rand. Sie bezweifelte, daß es Jeremiah im geringsten kümmerte, und ihr Vater war in der Küche und durchstöberte die Vorräte, weil er das Verschließen der Sarkophage nicht mit ansehen wollte, aber es war ihr trotzdem unbehaglich, im Beisein ihrer Freunde nackt zu sein. !Xabbu , der keine derartigen Hemmungen erkennen ließ, hatte sich längst seiner Kleider entledigt und hörte sich Jeremiahs letzte Instruktionen in ungestörter Nacktheit an.
    Renie verband das Infusionsröhrchen mit dem Nebenschluß in ihrem Arm und brachte dann das Katheter für den Urin und den Schlauch für die festen Ausscheidungen an, obwohl sie einen Schauder vor dem unangenehmen intimen Eindringen in ihren Körper unterdrücken mußte. Jetzt war nicht die Zeit, zimperlich zu sein. Sie mußte sich selbst als einen Soldaten ansehen, der hinter die feindlichen Linien schlich. Die Mission war das Wichtigste – alle anderen Erwägungen mußten dahinter zurückstehen. Sie ging zum x-ten Mal ihre innere Checklist durch, aber es gab nichts mehr zu tun. Die ganze Kontrolle und Regelung würde der V-Tank selbst mittels des plasmodalen Gels vornehmen. Sie zog die Maske über und gab Jeremiah das Zeichen, die Luft anzustellen. Als sie das leicht feuchte Einströmen des Sauerstoffs in der Mundblase fühlte, glitt sie unter die Oberfläche.
    Sie trieb in der dunklen Schwerelosigkeit und wartete, daß Jeremiah das System online brachte. Es schien ewig zu dauern. Sie überlegte, ob es ein Problem mit !Xabbus Anlage geben konnte. Vielleicht war seine Apparatur defekt, und sie mußte doch allein gehen. Der Gedanke und das Ausmaß der Niedergeschlagenheit, die sie dabei empfand, erschreckten sie. Sie fühlte sich mittlerweile auf den kleinen Mann mit seiner ruhigen und vernünftigen Art angewiesen, und das mehr, als sie eigentlich auf irgend jemand angewiesen sein wollte, was aber nichts an der Tatsache änderte.
    »Renie?« Es war Jeremiah, den sie durch die Ohrenstöpsel hörte. »Alles in Ordnung?«
    »Ja, prima. Worauf warten wir noch?«
    »Auf nichts. Ihr seid bereit.« Eine längere Stille trat ein, und sie dachte, er wäre offline gegangen. »Und viel Glück. Findet heraus, wer der Frau Doktor das angetan hat.«
    »Wir werden unser Bestes tun.« Das Online-Grau umgab sie plötzlich, ein Meer aus flimmerndem Nichts ohne Oberfläche oder Grund. » !Xabbu ? Kannst du mich hören?«
    »Ich bin hier. Wir haben keine Körper, Renie.«
    »Noch nicht. Wir müssen erst den Kontakt zu Singh herstellen.«
    Sie rief das Betriebssystem der Militärbasis auf, ein typisch phantasieloses Bedienungsfeld voller Sichtfenster und simulierter Knöpfe und Schalter, und gab dann die vorprogrammierte Verbindung ein, die Martine ihnen übermittelt hatte. Das Bedienungsfeld blinkte verschiedene Warteaufforderungen, bis schließlich das Feld und das Grau drumherum von Schwärze verschluckt wurden. Nach wenigen Momenten hörte sie die vertraute Stimme der Französin: »Renie?«
    »Ja, ich bin’s. !Xabbu ?«
    »Ich bin auch da.«
    »Alle da, Martine. Warum gibt es kein Bild?«
    Singhs krächzende Stimme ertönte in ihrem Kopfhörer. »Weil ich weder Zeit noch Lust habe, euch mit netten Bildchen zu unterhalten. Wir werden mehr Bilder haben, als uns lieb ist, wenn wir in dieses System reinkommen.«
    »Trotzdem«, sagte Martine, »müßt ihr ein paar Vorgaben für eure simulierten Formen einstellen. Monsieur Singh meint, daß viele der Knoten in diesem Netzwerk einem beim Eintritt automatisch einen Sim zuweisen, manche aber auch nicht. Einige von denen, die das tun, lassen sich von der Vorauswahl

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