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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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zu beiden Seiten an ihnen vorbei. Einer, ein knorriger alter Mann, der nur einen Lendenschurz anhatte, stand wie angewurzelt mitten auf der Treppe und schüttelte sich still vor Lachen oder vor Weinen. Renie wollte um ihn herumgehen, aber durch sein jähes Zucken stieß er gegen ihren Ellbogen. Auf der Stelle löste er sich in dünne Wölkchen auf, aber bildete sich weiter oben auf der Treppe neu, immer noch gekrümmt, immer noch bebend.
    Sie gingen fast eine halbe Stunde, begleitet nur von Simulationen ruheloser Toter. Die Treppe schien endlos zu sein, und Renie überlegte sich gerade, ob sie durch eine der Türen treten sollten, die von jedem Absatz abgingen, als sie eine Stimme durch das unglückliche Gemurmel der Phantome schneiden hörte.
    »… wie eine Hündin. Hechelnd, knurrend, Schaum auf den Lippen – ihr werdet sehen!«
    Der Bemerkung folgte ein mehrstimmiges rohes Gelächter.
    Renie und !Xabbu kamen um eine Biegung. Auf dem Treppenabsatz vor ihnen standen vier Männer, die alle recht real wirkten, zumindest im Vergleich zu den wesenlosen Gestalten um sie herum. Drei davon waren dunkelhäutige, dunkelhaarige Halbgötter, hochgewachsen und geradezu unglaublich gutaussehend. Der vierte war nicht ganz so groß, aber monströs beleibt, ganz als ob jemand ein Nilpferd in einen weißen Anzug gesteckt und ihm einen runden, kahlen menschlichen Schädel aufgesetzt hätte.
    Obwohl er mit dem Rücken zu ihnen stand und ihr Näherkommen geräuschlos vonstatten ging, drehte sich der dicke Mann sofort zu Renie und !Xabbu um. Renie empfand die flinke Inspektion durch seine kleinen hellen Augen fast körperlich, als würde er sie ein paarmal prüfend mit dem Finger pieken. »Oh, hallo! Amüsiert ihr euch gut, meine Herren?« Seine Stimme war ein geniales Stück Arbeit, tiefe, butterweiche Töne wie eine Viola da gamba.
    »Ja, danke der Nachfrage.« Unsicher ließ sie eine Hand auf !Xabbus Schulter ruhen.
    »Ist das euer erster Besuch im weltberühmten Mister J’s?« fragte der Dicke. »Doch, doch, ich bin sicher, daß es so ist – kein Grund, sich zu schämen. Ihr müßt euch uns anschließen, denn ich kenne diesen wunderlichen und wunderbaren Ort wie meine Westentasche. Ich heiße Strimbello.« Ein kleiner Ruck seines stumpfen Kinns in Richtung Brustbein deutete eine Verbeugung an, bei der seine übrigen Kinne vor- und wieder zurücktraten wie Kiemen.
    »Sehr angenehm«, sagte Renie. »Ich heiße Otepi, und das ist mein Kollege Herr Wonde.«
    »Ihr seid aus Afrika? Großartig, großartig.« Strimbello strahlte, als wäre Afrika ein schlauer Trick, den sie und !Xabbu gerade vollführt hatten. »Meine anderen Freunde – so viele neue Freunde an einem Tag! – kommen vom indischen Subkontinent. Aus Madras, um genau zu sein. Darf ich euch die Brüder Pavamana vorstellen?«
    Seine drei Begleiter nickten kaum merklich. Sie waren praktisch Tripelgänger, oder zumindest waren ihre Sims so gut wie identisch. Ihre stattlichen VR-Körper mußten viel Geld gekostet haben. Überkompensation, entschied Renie – im RL waren die Brüder Pavamana wahrscheinlich pockennarbig und hühnerbrüstig. »Sehr angenehm«, sagte sie. !Xabbu bildete ihr Echo.
    »Ich war gerade im Begriff, diese werten Herren mit einigen der spezielleren Attraktionen des Infernos bekannt zu machen.« Strimbello dämpfte seine Stimme und zwinkerte; er hatte mehr als nur ein bißchen von einem Kundenfänger an sich. »Möchtet ihr nicht mitkommen?«
    Renie fiel plötzlich ein, daß Stephen einen dicken Mann erwähnt hatte. Ihr Herz schlug schneller. Konnte es so rasch gehen, so einfach?
    Aber die Gelegenheit, die sich bot, bedeutete auch Gefahr. »Das ist sehr freundlich von dir.«
    Sie und !Xabbu wechselten einen Blick, als sie sich der Gruppe an die Fersen hefteten. Renie legte einen Finger auf die Lippen, um ihm einzuschärfen, ja nichts zu sagen, auch nicht auf dem Privatband. Wenn dieser Mann zum inneren Kreis von Mister J’s gehörte, dann wäre es mehr als leichtsinnig, seine Fähigkeiten zu unterschätzen.
    Während sie die große Treppe hinunterschwebten – von Parvenügewohnheiten wie Zufußgehen schien Strimbello nichts zu halten –, erbaute sie der dicke Mann mit Geschichten über die diversen Gespenster beziehungsweise die Leute, die jetzt hier als Gespenster erschienen. Eines davon, ein fränkischer Kreuzritter, war in einer so köstlich hintertriebenen Art zum Hahnrei gemacht worden, daß sogar Renie und !Xabbu lachen mußten. Ohne den Ton zu

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