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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sein, daß wir sie nicht finden. Stimmen tragen hier nicht sehr weit. Sie könnte hundert Meter entfernt an uns vorbeigehen, und wir würden es nicht merken. Irgendwann müssen wir aufbrechen und hoffen, daß wir unterwegs auf sie stoßen.«
    »Wir können nicht… einfach ohne sie gehen!«
    Einen Moment lang geriet !Xabbus Fassung ins Wanken, und Sam erkannte die inneren Qualen, die er litt. »Wenn … ihr etwas zugestoßen ist …« Er stockte und äugte zu Jongleur hinüber, vor dem er seine Gefühle auf keinen Fall preisgeben wollte. »Wenn wir sie nicht finden, sind wir es ihr schuldig, weiterzugehen. Vergiß nicht, es war die Liebe zu ihrem Bruder, die sie hierhergeführt hat. Sie würde wollen, daß wir ihm zu helfen versuchen, auch ohne sie.«
    Er sprach mit seiner normalen Ruhe, aber in den Worten schwang eine solche Trostlosigkeit, daß Sam zumute war, als ob ihr eigener Fluß des Leids auf einen anderen, mindestens genauso großen getroffen wäre – und wenn sie beide nicht sehr aufpaßten, konnten ihre vereinigten Wasser über die Ufer treten und alles überschwemmen.
     
    Wegen der schlechten Sicht mußte sie sich ziemlich dicht bei Jongleur halten, während !Xabbu seine Arbeit machte, und sie konnte nur mit größter Anstrengung ihren Abscheu vor dem Mann bezähmen. Sein hochmütiges Gesicht schien aus Stein zu sein, eine Granitskulptur, wie Sams Vater in seinen krampfigsten und wütendsten Momenten, aber ohne den ausgleichenden Humor, den sie stets aus ihm herauskitzeln konnte. Sie mußte sich unwillkürlich fragen, wie jemand mit Jongleurs Reichtum und Macht sich in eine Bestie verwandeln und sich mit seiner Grausamkeit so viele Leben unterwerfen konnte … Wofür? Bloß um länger am Leben zu sein? Um noch jahrhundertelang diese kalte, freudlose Macht genießen zu können? Sie hatte ohnehin Schwierigkeiten zu verstehen, wieso alte Leute weiterleben wollten, auch wenn sie längst über den Punkt hinaus waren, wo sie noch irgend etwas machen konnten, wodurch das Leben für Sams Begriffe erst lebenswert wurde. Jemand wie Jongleur, der sich bereits durch das dritte Menschenalter schleppte, überstieg ihr Fassungsvermögen vollkommen.
    Orlando hatte auch Angst vor dem Sterben gehabt, eine Riesenangst sogar, erkannte sie jetzt, und mit den ganzen Todessimulationen hatte er sich bloß unempfindlich für das Schicksal machen wollen, das so ungerecht früh auf ihn zukam. Doch selbst wenn er die Chance gehabt hätte, dem frühen Tod zu entkommen, hätte er dann, so wie dieser Mann hier, das Leben Unschuldiger geopfert, um sein eigenes zu erhalten? Das konnte sie nicht glauben. Sie glaubte es nicht. Nicht ihr Orlando, der genauso stark an die Aufgabe des Ringträgers geglaubt hatte, wie diese Leute im Kreis an Gott glaubten. Nicht Orlando Gardiner, der ihr erklärt hatte, daß es am meisten darauf ankam, ein wahrer Held zu sein, auch wenn nie jemand davon erfuhr. Er hatte wirklich geglaubt, daß es keine Rolle spielte, was sonst noch geschah oder was die Leute über einen dachten – wichtig war allein, daß man selbst wußte, wer man war.
    Selbst ihr Vater hatte einmal, als sie sich mit ihrer Mutter wegen ihres Namens herumstritt, zu ihr gesagt: »Wenn du Sam sein willst, sei Sam, verdammt, sei so sehr Sam, wie du Sam sein kannst!« Seine finstere Miene hatte sich auf einmal in ein Lachen aufgelöst. »Das sollte mal jemand in ein Kinderbuch schreiben!«
    Plötzlich wurde das Gefühl, ihren Vater und ihre schreckhafte, überfürsorgliche Mutter zu vermissen, so stark, daß es mindestens so weh tat wie der Schmerz über den Verlust Orlandos, und ein Schatten legte sich auf sie und drohte sie völlig zu erdrücken. Sam starrte den wenige Meter entfernt sitzenden Jongleur an und wußte nicht, ob es am Nebel lag oder an den Tränen in ihren Augen, daß er so undeutlich zu erkennen war, aber eines wußte sie: Was auch geschehen mochte, sie wollte niemals so sein wie er, haßerfüllt und versteinert und allein …
    Eine Bewegung riß sie aus ihren Gedanken. !Xabbus kleine Gestalt erschien aus dem Grau. Behutsam, als täte ihm alles weh, setzte er sich neben sie.
    »Und?« bäffte Jongleur.
    !Xabbu beachtete ihn gar nicht. Er nahm Sams Hand – sie hatte sich noch nicht ganz an seine häufigen freundschaftlichen Berührungen gewöhnt, fand sie aber eher wohltuend – und fragte, wie sie sich fühle.
    »Besser, glaub ich.« Sie lächelte ein wenig und merkte, daß es von Herzen kam. »Hat’s was gebracht?«
    Er

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