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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Lied.«
    Eine Weile schwieg der kleine Junge. Dann sagte er: »Ich kenne ein Lied.« Und er begann mit einer komischen, brüchigen Stimme zu singen.
     
»Ein Engel hat mich angerührt,
    Ein Engel hat mich angerührt,
    Der Fluß hat mich gewaschen
    Und mich rein und klar gemacht …«
     
    Nach einer Weile wußte sie den Text, und sie sang mit.
    »Mir geht’s ein bißchen besser«, sagte er, als sie aufgehört hatten zu singen. »Ich glaube, ich kann jetzt zu meiner Mami gehen.«
    »Prima«, meinte sie, aber sie fragte sich, wie er denn gehen wollte und ob sie vielleicht auch gehen konnte, denn sie war gar nicht gern im Dunkeln. »Na dann … tschüs.«
    »Tschüs.« Er war wieder still, doch sie wußte, daß er noch nicht fort war, sondern weiter in der Dunkelheit wartete. »Bist du … bist du ein Engel?«
    »Ich glaube nicht«, sagte sie.
    »Ich glaube doch«, sagte er, dann war er fort, richtig fort.
    Und da wachte sie auf.
     
    Zuerst fürchtete sie sich, weil es immer noch dunkel war, obwohl sie die Stimme ihrer Mami und die Stimme ihres Papis im Nebenzimmer hören konnte. Mami weinte laut, und Papi sagte etwas, aber er hörte sich auch irgendwie merkwürdig an. Sie betastete ihr Gesicht und merkte, daß sie die MärchenBrille gar nicht mehr aufhatte, daß bloß im Zimmer das Licht aus war. Unter der Tür war ein schmaler Lichtstreifen, und auf dem Teppich lagen Glasscherben, doch bevor Christabel darüber nachdenken konnte, sah sie, daß jemand sie über die Bettkante hinweg anschaute, und in der ersten Schrecksekunde rutschte ihr fast das Herz in die Hose.
    »Eh, Tussi«, sagte Cho-Cho. »Strom’s aus.«
    Durch den Spalt unter der Tür kam gerade genug Licht, daß sie ihn erkennen konnte. Seine Haare standen hoch, und er machte so ein komisches Gesicht – nicht fies, nicht froh, bloß total überrascht, als ob er ein kleines neugeborenes Fohlen wäre, wie sie einmal eines im Netz gesehen hatte, das auf einem Feld herumtaumelte und nicht so recht zu wissen schien, was für ein Tier es war und was es jetzt mit sich anfangen sollte.
    »’ab dich gesehn da drüben«, sagte er ganz leise. »Wie bise da ’inkommen?«
    »Du bist ja wach.« Sie staunte. »Wo drüben? Herr Sellars hat gesagt, ich müßte ihm helfen, aber dann bin ich eingeschlafen.« Sie setzte sich ganz aufgeregt hin, denn ihr war eine Idee gekommen. »Ist Herr Sellars auch wach?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Nö. Aber soll ich sagen, geht ihm gut. Er …«
    Doch da kam ihre Mutter zur Tür herein und rief immer wieder ganz laut und ganz schnell ihren Namen, und sie riß sie vom Bett hoch und drückte sie, daß Christabel schon meinte, gleich müßte sie sich übergeben. Ihr Vater kam auch herein, eine Taschenlampe in der Hand, und er weinte, und da bekam Christabel schon wieder Angst, weil sie das bei ihm noch nie gesehen hatte. Doch dann nahm er sie ihrer Mutter ab und küßte sie ins Gesicht, und er freute sich so, daß sie dachte, vielleicht könnte doch alles in Ordnung sein.
    Ihre Mami küßte jetzt Cho-Cho. Cho-Cho wußte nicht, was er machen sollte.
    Sie sah, daß Herr Ramsey mit einer großen viereckigen Lampe in der Tür stand und sie alle mit großen Augen betrachtete, und seine Miene war irgendwie traurig und doch auch froh, genau wie bei ihrem Papi, und sie wollte ihm sagen, er solle sich zu Herrn Sellars setzen für den Fall, daß der alte Mann aufwachte und Angst bekam, doch da umarmte ihre Mami sie wieder und beschwor sie, nie nie wieder so etwas zu machen und einfach so wegzugehen, was doch Quatsch war, weil sie ja gar nirgends hingegangen war, sie hatte bloß geschlafen und geträumt, und so kam sie nicht dazu, Herrn Ramsey etwas zu sagen.
     
     
    > »Wo bin ich?« Seine Kehle tat weh, und das Reden fiel ihm schwer. Long Joseph blickte auf die Vorhänge zu beiden Seiten des Bettes, dann wieder auf den dunkelhäutigen jungen Mann in Uniform. Ein starker Geruch nach neuem Plastik und Alkohol hing in der Luft. »Wo issen das hier?«
    »Beim Feldarzt.« Der Mann hatte eine Universitätsstimme wie Del Ray, aber die Townships waren noch durchzuhören. »In ’nem Armeesani, um genau zu sein. Jetzt leg dich wieder hin, damit ich nach deinen Nähten gucken kann.«
    »Was is passiert?« Er versuchte sich hinzusetzen, doch der junge Mann drückte ihn sofort zurück. »Wo is Jeremiah?« Er fühlte ein Stechen im ganzen Arm, als der Verband abgenommen wurde, doch mehr nicht. Er beäugte interessiert die langen Linien transparenter

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