Paarweise
bedrängt fühlt und ohne direkte Konfrontation. Und man kann parallel etwas Drittes betrachten. Vielfach aus ähnlichem Grund setzen sich Pärchen in einem Restaurant gerne an einen Ecktisch, wo sie etwas abgeschirmt sitzen und bequem kommunizieren können.
Die Kommunikationskultur der Partnerschaftlichkeit
Kommunikation, Information, Unterhaltung (KIU) – das wollen uns Facebook und andere mächtige Konzerne verkaufen.
Wer KIU als Paar zuhause betreibt, bleibt autonom.
Der Kommunikationsstil als Indikator für Störungen
Wissenschaftliche Studien zeigen: Die zweithäufigste Tätigkeit des Menschen nach dem Schlafen ist nicht Arbeiten, wie viele meinen. Es ist die Kommunikation miteinander, von früh bis spät.
Wie passt das zu den Heerscharen der sich im Restaurant anschweigenden Paare? Haben sie sich schon alles gesagt, was man sich so sagen kann? Haben sie keine Ideen oder keine Anliegen? Vermutlich ist es eine gute Mischung aus allem, gewürzt mit einer tüchtigen Prise Angst vor Fettnäpfchen oder Differenzen: Wer schweigt, kann keine Gegenposition provozieren, muss keine Unterschiedlichkeit fürchten, meidet damit Streit, Diskussionen, anstrengende Auseinandersetzungen. Und so werden die Gelegenheiten hemmungslos vergeudet, in denen man einander noch besser kennenlernen und auf neue Gedanken kommen könnte, auf die man allein nicht kommt. Aber vielleicht handelt es sich manchmal ja auch um ein sehr vertrautes Paar, das es sich und dem anderen gönnt, endlich einmal keine Konversation betreiben »zu müssen«, und dennoch eine gegenseitige innige Nähe genießt.
Fallbeispiel: Nicht kommunikativ
Ein Klient sitzt im Vier-Augen-Gespräch bei mir: »Meine Frau ist nicht kommunikativ«, behauptet er. Da ich sowohl Einzelsitzungen mit ihr als auch Sitzungen mit beiden mache – wir sind mitten im Prozess – werfe ich ein: »Noch nicht! Ihre Frau ist noch nicht kommunikativ.« Er, wie aus der Pistole geschossen: »Nie, das konnte sie noch nie …«
Psychologisch war diese Einschätzung womöglich eine Folge langjähriger Enttäuschungen, Frustrationen, Kränkungen. Verständlich – aber nicht gut. Denn Kommunikation kann jeder lernen. Man muss allerdings bereit sein, anderen dieses Lernen auch zuzugestehen, besser noch, ihr Lernpartner sein. Denn Kommunikation bedeutet in erster Linie: sich zusammenzusetzen, um sich miteinander auseinanderzusetzen. Man muss bereit sein für einen Prozess der Veränderung.
Wir kommunizieren über drei Kanäle: sprachlich, körpersprachlich und paraverbal. Paraverbal sind Pausen, Sprechtempo, Räuspern, Seufzen, Grunzen, Jubeln, Pfeifen etc.
Vom Reden im Gehen und im Sitzen
Wo fängt Kommunikation an? Dabei, dem anderen in die Augen zu blicken, um ihm hinter die Augen zu schauen und nicht nur, um sich selbst darin zu spiegeln. So erfahre ich mehr von ihm, von mir und von uns.
Was die Gruppe PINK in ihrem Song »Dear Mr. President«
aufgreift, hat ein Paar für sich entdeckt (Songtext-Auszug: »Ich würde Dir gerne ein paar Fragen stellen, wenn wir ehrlich miteinander sprechen könnten«, www.songtexte.com ): Das Weiterkommen im Gespräch, während man zusammen spazieren geht. Der gemeinsame Gang als Gelegenheit für ein anregendes Gespräch.
Diese Methode wandte Sigmund Freud im Rahmen seiner »Psychotherapeutischen Kur« öfter bei seinen Patienten an. Der Vater der Psychoanalyse griff hierbei eine Tradition auf, die einst der griechische Philosoph Sokrates begründete und »Peripatetik« nannte: die kathartische (reinigende) Redekur in der Bewegung. (Möglicherweise ist die amerikanische Version »let‘s take a walk« ein Ableger davon.)
Fallbeispiel: Der Spaziergang als Ritual
Das Paar hatte vielfältige gemeinsame Interessen, kulturelle, gesellschaftliche und politische Themen. Diese Verbindung sollte im Gesprächsspaziergang gefördert und vertieft werden. Die Partner wählten als festen Termin eine Zeit, in der sie früher die heilige Messe besucht hatten, den Sonntagvormittag. Sie setzten sich als Aufgabe, während der Woche einen Text herauszusuchen, um ihn dann beim Spaziergang vorzutragen und zu diskutieren. Die Texte sollten überraschen, anregen und die Beziehung bereichern.
Sie wechselten sich ab; sie lasen Texte von Hesse, Mandela, Heinrich von Kleist und vieles andere mehr. Beide empfanden das neue Ritual als spannenden kleinen Wettbewerb, bei dem es darum ging, Texte zu entdecken, die für sie beide möglichst ergiebig waren.
Sie genossen das
Weitere Kostenlose Bücher