Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
tiefer in die Höhle hinein.
»Hab keine Angst«, sagt Boone. Bescheuerter Blödmann, sagt er sich. Glaubst du wirklich, nach so einem Spruch hat sie keine Angst mehr vor einem güero mit Gewehr? Er streckt ihr seine Hand hin.
Der Teenager mit der Machete kommt angerannt.
Ich will dich nicht erschießen, denkt Boone und zieht sich zurück. Aber der Junge kommt immer näher, die Klinge der Machete glitzert golden im Licht der Dämmerung. Boone macht einen weiteren Schritt zurück und hebt das Gewehr, duckt sich in letzter Sekunde unter der Klinge weg und rammt dem Jungen den Gewehrkolben in den Magen.
Der Junge geht in die Knie. Boone sieht, dass er schluchzt, mehr aus Enttäuschung als vor Schmerz. Er tritt dem Jungen die Machete aus der Hand, zieht ihn auf die Füße, klemmt ihm den Unterarm unter die Kehle und hält ihm den Lauf des Gewehrs an die Schläfe. »Ich gehe jetzt. Wenn noch jemand einen Schritt auf mich zumacht, fließt Blut.«
Er dreht sich um, schiebt den Körper des Jungen zwischen sich und die beiden Campesinos und zieht sich zurück. Als er an die Lichtung kommt, stößt er den Jungen von sich. Der Junge dreht sich um und starrt ihn an. Sein Blick ist voller Hass. Der Junge spuckt aus, dreht sich um und geht zurück ins Schilf. Boone folgt ihm mit den Augen.
Als er sich umdreht, steht Petra vor ihm.
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»Mein Gott«, sagt sie. »was ist passiert?«
Blut tropft ihm aus dem Mundwinkel und aus der Nase, und er sieht aus, als hätte er sich im Dreck gewälzt.
»Sie sollen doch das Motel bewachen«, sagt er.
»Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht«, erwidert sie. »Offensichtlich aus gutem Grund. Wo haben Sie das Gewehr her?«
»Hat mir jemand gegeben.«
»Freiwillig?«
»Fast.«
Er geht die Straße hoch zurück zum Motel. Teddys Wagen steht noch dort.
»Haben Sie Teddy gefunden?«, fragt Petra.
»Nein«, sagt er.
»Wir sollten Sie in ein Krankenhaus fahren.«
»Nicht nötig.«
Er öffnet die Schiebetür des Busses und kramt herum, bis er einen kleinen Erste-Hilfe-Koffer findet. Er setzt sich auf den Vordersitz, dreht den Rückspiegel zurecht und säubertdie Platzwunden und Kratzer in seinem Gesicht, desinfiziert sie mit einem Tupfer. Dann klebt er ein Pflaster auf die Wunde über seinem linken Auge.
»Kann ich helfen?«, fragt Petra.
»Ich habe Sie um Ihre Hilfe gebeten«, sagt Boone. »Sie sollten das Motel beobachten.«
»Dafür habe ich mich bereits entschuldigt.«
Das Pflaster klebt und er nimmt ein Pillendöschen, schüttelt eine heraus und schluckt sie.
»Was …«
»Vicodin«, sagt er. »Karatebonbon. Ich habe weder Teddy noch Tammy gefunden. Nur ein Mojado-Camp .«
» Ein …«
»Mojados «, wiederholt Boone. »Mexikaner. Illegale. Sie arbeiten auf den Feldern. Manche wohnen in Lagern. Meistens sind die Lager in den Canyons versteckt, dieses hier im Schilf am Fluss. Ich war nicht willkommen.«
Trotzdem ist es seltsam, denkt er, dass die Mojados so aggressiv waren. Normalerweise tun sie alles, um nur keine Aufmerksamkeit zu erregen. Das Letzte, was sie wollen, ist Ärger, und einen Weißen verprügeln bedeutet auf jeden Fall Ärger.
Boone beugt sich vor und reibt sich den Nacken, genervt wegen der Schmerzen, aber froh, dass ihm der Gewehrkolben keinen Rückenwirbel ausgerenkt hat.
Und was macht Teddy da drin? fragt sich Boone. In den Mojado-Camps gibt es nicht unbedingt viele potenzielle Patientinnen, jedenfalls keine, die sich Teddy leisten könnten. Und wieso haben sie ihn durchgelassen und mir einen Gewehrkolben über den Schädel gezogen? Oder hatte Teddy am Ende gar keine freie Bahn? Vielleicht liegt er irgendwo auf einem Haufen. Vielleicht schlimmer. Aber was zum Teufel hat Teddy überhaupt dort zu suchen?
Ihnen blieb nichts anderes übrig, als zu warten und ihnselbst zu fragen. Boone schnappt sich eine Wollmütze vom Rücksitz und zieht sie sich über den Kopf. Dann rutscht er tiefer auf seinem Sitz, legt den Kopf zurück und schließt die Augen.
»Was tun Sie da?«, fragt Petra.
»Mal kurz die Augen schließen«, sagt er, »bis Teddy fertig ist und zurückkommt.«
»Und was, wenn Sie einschlafen?«
»Ich werde auf jeden Fall einschlafen«, sagt Boone. »Darum geht’s ja.«
Außerdem gilt Regel Nummer vier.
Dies sind Boones vier Grundregeln für das Observieren:
Hast du Gelegenheit, etwas zu essen, iss.
Gibt es ein Klo, benutze es.
Kannst du dich hinlegen, leg dich hin.
Kannst du schlafen, schlaf.
Weil man nie weiß, wann man wieder Gelegenheit
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