Päpste pupsen nicht (German Edition)
nicht so langweilig fertig mit allem. Sie sagte uns, es sei in Wahrheit ganz egal, wie viel Geld jemand hätte und wie viel Leute er herumkommandieren könnte. Sie würde jetzt manchmal durch die Straße gehen und alles anschauen, die Gesichter und die Mauern, die Bäume, die Dekorationen in den Schaufenstern, und dann sei sie so glücklich, dass sie es gar nicht beschreiben könnte. Ich mag Frau Tiedemann wirklich sehr gern, Eloise auch. Außerdem hat sie uns Lesen und Schreiben beigebracht. Damals sollten wir noch die Augen zumachen und uns vorstellen, wie es ist, behindert zu sein oder ganz krank. Wir sollten es uns nur vorstellen und nichts sagen. Nur etwas aufschreiben.
In der Nacht bin ich dann ohne Spucke im Mund aufgewacht und dachte, dass ich jetzt sterben müsste.
Als wir alle unter der Pinie saßen, erzählte Frau Tiedemann von »Baumerkmalen und Lebensweise des Rindes«. In der Krone der Pinie sirrten die Grillen und von der Straße konnte man den Verkehr hören. Unterarmknochen, Handwurzelknochen, Huf.
»Das Rind ist also ein Zehenspitzgänger, und was noch, Eloise?«
Auweia.
»Ein Einhorn …«
»Wie bitte?«
»Ein …, ein Hornträger.«
Okay, noch mal gut gegangen. Frau Tiedemann wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und schaute dabei nach oben, über das Dach der Schule. Irgendetwas hatte ihren Blick gefangen. Aber ihr Mund redete weiter, als hätte er mit den Augen nichts zu tun.
»Das Rind ist ein Zehenspitzgänger, ein Hornträger, ein Paarhufer und was bin ich? Ich bin nicht, was ich bin. Ihr seht eine kleine rothaarige Lehrerin, die euch etwas vom Rind erzählt und von Modalformen. Aber ich bin viel mehr. Ich bin verliebt! In Herrn Anis, wir küssen uns heimlich im Chemiezimmer und er riecht so gut nach diesem Rasierwasser und außerdem baden wir beide nackig nachts im Meer und erzählen es niemandem und dann, ach!, rase ich viel zu schnell über die Autobahn nach Hause, mit offenen Scheiben, dass man die Bäume riecht, und höre voll aufgedreht ›Airplane‹ von B.o.B, Bieohbie, I could really use a wish right now, WISCHREITNAU , WISCHREITNAU .« Frau Tiedemann begann, eckige Bewegungen zu machen, und wedelte mit beiden Händen wild in der Gegend herum. »Mensch, Kinder, ihr habt ja keine Ahnung, und glaubt ihr wirklich, mich würden Paarhufer vom Hocker reißen? Unsinn, Quatsch. Diese Rinder sind mir so was von egal.« Dann verstummte sie plötzlich. Ihr hingen zwei Haarsträhnen über dem Gesicht und in den Mundwinkeln hatte Frau Tiedemann jetzt kleine weiße Spuckebläschen.
Alle waren still. Dann hob Eloise den Arm und sagte: »Frau Tiedemann, müssen wir die Knochen wirklich alle auswendig lernen?«
Eloise, du bist wirklich die Klügste unter allen besten Freundinnen. Frau Tiedemann sah aus, als hätte ihr Eloise gerade ein chinesisches Gedicht vorgetragen. Dann schüttelte sie den Kopf, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und versuchte, unsichtbar zu werden.
»Ähm, ja, ich meine, nein. Welche Knochen? Vogelknochen? Was war das gerade, da war gerade was, was … Ja, Micki?«
Micki hatte sich gemeldet und dabei wild mit dem Unterarm gefuchtelt. Wahrscheinlich musste er mal.
»Frau Tiedemann, ich mag Ihre roten Haare und Ihre Vespa und das mit dem Baden ist auch okay. Aber verliebt bin ich nur in Smilla.«
Es war, als hätte jemand die Temperatur im Klassenzimmer auf Kochen und Frost gleichzeitig gedreht. Aber wir waren nicht im Klassenzimmer. Wir saßen unter der Pinie der Schweizer Schule, und Micki hatte etwas gesagt, was kein Junge jemals sagen würde. Es wurde immer verrückter.
Hatte er auch etwas von dem Starenwolkenzeugs abbekommen oder war das eine von seinen blöden Wetten oder war er nur völlig durchgedreht?
Ich wusste nur, dass dies der peinlichste Moment meiner Schullaufbahn war und sein wird. Und ich wusste noch im selben Moment: Das wird dir, Smilla, den Rest deines Lebens noch anhängen. Micki liebt Smilla. Na super.
Es wurde echt Zeit für die Ferien.
8. Kapitel
Ein gefährlicher Klecks Pistazieneis. Aber drei Punkte sind noch kein Bild
Nach der Schule hatte ich mich mit Eloise zum Eisessen verabredet. Die größten Portionen gibt es bei Gianluciano, genau gegenüber von einer der Spitzen der Vatikanmauern. Die Schlangen hier sind fast so lang wie die vor den Vatikanmuseen gegenüber, aber ich weiß, wo ich lieber anstehe. Eis ist gut für die Nerven.
Diese Sache an der Schule hatte mich mehr fertiggemacht als zwei Erdkundearbeiten auf
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