Paladin der Seelen
Sonne empor, die im Westen beinahe schon hinter den Berggraten versunken war, obwohl der Himmel immer noch von einem tiefen, lichten Blau war. »Das schaffen wir nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit.«
Ista führte zaghaft einen bleichen Finger zur Karte. »Ganz in der Nähe liegt die Kreuzung, von der aus wir in den Geburtsort dieser Heiligen gelangen. Dort haben wir schon Essen, Unterkunft und Futter für die Tiere vorbereiten lassen. Wir könnten morgen früh aufbrechen.« Und dort standen kräftige Mauern zwischen ihnen und weiteren Bären. Wenn auch nicht zwischen ihnen und dem Dämon – eine Überlegung, die Ista wohlweislich für sich behielt.
Ferda runzelte die Stirn. »Das wären sechs weitere Meilen, jeweils hin und zurück. Und noch mehr, wenn wir uns mal wieder verirren.« Eine ähnlich trügerische Straßengabelung hatte sie früher am Tag bereits eine Stunde verlieren lassen. »Eine halbe Tagesreise umsonst. Wir haben genug Essen und Futter dabei, um eine Nacht durchzustehen. Wir können unsere Vorräte auffrischen, sobald wir nach Osten abbiegen …« Er zögerte und fügte ein wenig zurückhaltender hinzu: »Das heißt natürlich, falls Ihr willens seid, die Mühsal einer Nacht im Freien auf Euch zu nehmen, Majestät. Zumindest scheint das Wetter zu halten.«
Ista schwieg. Ihr missfiel dieser Plan, aber noch sehr viel mehr missfiel ihr die Andeutung, dass sie ihre eigene Bequemlichkeit über die offensichtliche Notlage eines ihrer treuesten Gefolgsleute stellen könnte. Die Schar aufteilen und die schnellsten Reiter mit Foix voraussenden? Dieser Einfall gefiel ihr ebenso wenig. »Ich überlasse die Entscheidung Euch.«
»Kannst du reiten?«, fragte Ferda seinen Bruder.
Foix saß mit gerunzelter Stirn und nach innen gerichtetem Blick da. »Ah … nicht schlechter als sonst. Mir tut der Hintern weh, aber das hat nichts mit dem … mit der anderen Sache zu tun.« Er verstummte kurz und fügte hinzu: »Außer vielleicht indirekt.«
In entschlossenem, militärischem Tonfall verkündete Ferda: »Dann lasst uns heute Abend so weit und so schnell voranziehen, wie wir nur können!«
Die kleine Versammlung neben dem Felsblock ließ zustimmendes Gemurmel hören. Ista presste die Lippen aufeinander.
Sie setzten Foix wieder auf sein unruhiges Pferd. Es brauchte zwei Männer, um das Tier zu halten, das aufgeregt tänzelte und schnaubte. Doch als sie aufbrachen, beruhigte es sich. Dy Cabon und Ferda ritten dicht neben Foix, der eine links, der andere rechts. Eine beschützende Geste. Zu spät.
Ista hielt sich hinter ihnen, als sie der Straße folgten – oder was hier als Straße durchging. Für kurze Zeit hatte sie die brennende Gegenwart des Dämons ganz deutlich gespürt, nun aber war die Empfindung wieder gedämpft. Gedämpft durch die Materie, die zwischen ihnen lag? Oder verbarg sich das Geschöpf mit voller Absicht in seinem neuen, fleischlichen Unterschlupf? Oder lag es an ihr selbst? Sie hatte ihre Empfindsamkeit lange unterdrückt; nun fühlte es sich an, als würde sie einen Muskel benutzen, der lange Zeit geruht hatte. Es schmerzte.
Lord dy Cazaril behauptete, dass die Welt des Geistes und die der Materie sich zueinander verhielten wie die beiden Seiten derselben Münze. Die Götter existierten nicht in weiter Ferne, an irgendeinem anderen Ort, sondern genau hier, allgegenwärtig, unmittelbar hinter einer Biegung der Wahrnehmung verborgen, die sich dem verstandesmäßigen Begreifen entzog. Eine Präsenz, die durchdringend und unsichtbar zugleich war, wie Sonnenlicht auf der Haut – als stünde man nackt und mit verbundenen Augen im Schein einer unvorstellbaren Mittagsstunde.
Mit den Dämonen verhielt es sich ebenso, obwohl sie eher so waren wie Diebe, die ihre Hand durch ein Fenster steckten. Was also befand sich dort, wo Foix war? Wenn beide Brüder hinter sie treten würden, wüsste sie dann, wer welcher von beiden war, ohne sich umzudrehen?
Sie schloss die Augen, um ihre Wahrnehmung zu prüfen. Sie hörte das Knarren des Sattels, das Stampfen der Reittiere, das feine Knirschen, als ein Huf auf einen Kiesel traf. Sie roch ihr Pferd, ihren Schweiß, den kühlen Duft der Kiefern … und sonst nichts mehr.
Und dann fragte sie sich, was der Dämon wohl sah, wenn er Ista anblickte.
Sie schlugen ihr Lager am Ufer eines Flusses auf. Es war gerade noch hell genug, um Feuerholz zu suchen, das die Männer herbeischafften, während die Wachen für Ista und Liss eine Art Laube errichteten,
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