Paladin der Seelen
sanken herab, und ihre Stimme wurde traurig. »Bisher nicht.«
»Nun«, entgegnete Ista und versuchte, den unerwarteten Abgrund an verborgenem Kummer zu überbrücken, der sich so deutlich auf dem Gesicht des Mädchens zeigte. »Ihr seid noch jung … Schauen wir uns die Kleider an.«
Ista erschrak, als sie durchsah, was Cattilara ihr anbot. Die Gräfin bevorzugte helle, leichte, luftige Gewänder, die ihrer schlanken Figur ohne Zweifel außerordentlich gut anstanden. Doch Ista hatte den Verdacht, dass sie selbst darin aussehen würde wie ein Zwerg, der eine Gardine hinter sich her schleppt. Doch sie drückte es nicht ganz so unverblümt aus. »Ich … ich bin immer noch in Trauer wegen des kürzlichen Todes meiner Mutter«, sagte sie. »Und auch meine Pilgerfahrt ist noch lange nicht beendet, auch wenn sie von den jokonischen Plünderern so grob unterbrochen wurde. Habt Ihr vielleicht etwas in Farben, die meiner Trauer angemessener sind …?«
Die ältere von Cattilaras Damen blickte auf Ista, dann wieder auf die hellen Seidenstoffe. Offenbar verstand sie Istas Worte richtig, denn längeres Stöbern in den Truhen sowie kurze Ausflüge zu weiter entfernten Lagerräumen beförderten schließlich mehrere Kleider zu Tage, die einen weniger mädchenhaft Schnitt aufwiesen, nicht ganz so lange Schleppen besaßen und in angemessenem Schwarz und Flieder gehalten war. Ista lächelte und schüttelte den Kopf, als Cattilara ihr das Schmuckkästchen reichte. Die Gräfin schaute sich selbst noch einmal an, was darin zur Auswahl stand; dann machte sie einen Knicks und entschuldigte sich kurz.
Ista hörte, wie Cattilara draußen auf der Galerie nur wenige Schritte machte und dann in einen Raum abbog. Bald darauf waren ihre Stimme und die eines Mannes zu vernehmen.
Offensichtlich war Lord Arhys zurückgekehrt. Kurze Zeit später näherten sich die leichten, eiligen Schritte der Gräfin wieder, und Cattilara kam zurück ins Zimmer, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen.
Sie streckte die Hand aus, in der eine kostbare Trauerbrosche aus Silber lag, mit Amethysten und Perlen besetzt.
»Mein Herr Gemahl hat nur wenige Preziosen von seinem großen Vater geerbt«, meinte sie schüchtern, »doch das ist eine davon. Er würde sich geehrt fühlen, wenn Ihr sie annehmt, um dieser vergangenen Zeit willen.«
Ista war von dem Anblick überrascht und stieß ein belustigtes Schnaufen aus. »O ja. Ich erinnere mich an dieses Stück. Lord dy Lutez pflegte es am Hut zu tragen, wenn sich die Gelegenheit ergab.« König Ias hatte es ihm gegeben – eines der unbedeutendsten von vielen Geschenken, die sich schließlich zur Hälfte seines Königreichs summiert hatten, ehe alles zusammenbrach.
Cattilara hob den Blick, und Ista hätte schwören können, dass ihre Augen in verklärtem Glanz strahlten. Vermutlich teilte die Gräfin die Vermutungen ihres Gatten über das heroische Ende seines Vaters. Ista war sich immer noch nicht sicher, ob Lord Arhys ihr geglaubt hatte, als sie ein intimes Verhältnis abgestritten hatte. Immerhin hatte dy Lutez als Liebhaber einen nicht minder bedeutenden Ruf gehabt denn als Krieger. Womöglich hatte Arhys ihre Geschichte nur aus Höflichkeit akzeptiert. Glaubte er, dass sie noch immer um dy Lutez trauerte? Oder um Ias? Oder um welche verlorene Liebe auch immer? Die Brosche war eine vieldeutige Botschaft – falls es eine Botschaft war.
Arhys’ Haut war unter ihrer Hand so fest und kühl gewesen wie Wachs, als sie im Zelt seine Wunde berührt hatte. Die Haut eines Toten. Trotzdem war er wieder aufgestanden, war geritten, hatte geredet, seine Frau geküsst, hatte gelacht und so brummig geknurrt wie jeder andere Ehemann.
Ista hätte sich inzwischen vielleicht einreden können, dass alles nur Einbildung gewesen war, oder ein Trugbild, doch Ferda hatte das Blut auf ihrer Handfläche ebenfalls gesehen.
Doch Ista dachte nicht länger über seine möglichen geheimen Hintergedanken nach und sagte stattdessen: »Ich danke Euch. Und richtet auch Eurem Herrn Gemahl meinen Dank aus.«
Cattilara wirkte überaus selbstzufrieden.
Man brachte Ista zu Cattilaras Bett, ließ sie sich niederlegen und breitete ihre immer noch feuchten Haare auf einem leinenen Handtuch um ihren Kopf herum aus. Die Akolythin setzte sich auf einen Hocker auf der andere Seite des Gemachs und wachte über sie. Cattilara drängte ihre Damen hinaus, folgte ihnen leise und ließ ihren hoch geehrten Gast zurück, damit der bis zum Abendessen ruhen
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