Paladin der Seelen
denn viel älter als der Graf?«
»Nein, er ist der jüngere Bruder meines Herrn Gemahl. Fast zwei Jahre jünger. Einen Großteil ihres Lebens waren die beiden unzertrennlich – der Majordomus hat sie gemeinsam aufgezogen, nachdem ihre Mutter gestorben ist, sagt mein Vater. Und er hat keinen von beiden bevorzugt. Illvin ist Arhys’ Rittmeister, solange ich zurückdenken kann.«
Ihre Mutter? Ista rollte besagten Familienstammbaum in Gedanken wieder zurück. »Dieser Illvin ist also kein Sohn des früheren Kanzlers dy Lutez?«
»Aber nein, keinesfalls«, erklärte Cattilara ernsthaft. »Ich habe immer gedacht, dass es damals eine sehr romantische Affäre gewesen sein muss. Wie man sagt …« Sie schaute sich wieder um, errötete leicht und senkte die Stimme, während sie sich näher zu Ista beugte. »Die Herrin von Porifors, Arhys’ Mutter … Man erzählt sich, nachdem Lord dy Lutez sie verließ, um an den Hof zu gehen, verliebte sie sich in ihren Majordomus, Ser dy Arbanos, und er verliebte sich in sie. Dy Lutez kam so gut wie nie zurück nach Porifors, und der Zeitpunkt von Lord Illvins Geburt … nun, er passte einfach nicht. Es war ein offenes Geheimnis, habe ich gehört, aber Ser dy Arbanos erkannte Illvin erst an, nachdem ihre Mutter gestorben ist. Die arme Frau.«
Hier fand sich ein weiterer Grund, dass dy Lutez seine Frau im Norden so lange vernachlässigt hatte … Aber was war die Ursache, und was die Wirkung? Istas Hand berührte die Brosche an ihrer Brust. Wie sehr musste dieser Mann dy Lutez in Verlegenheit gebracht haben, wenn man dessen Eitelkeit und sein besitzergreifendes Wesen bedachte. War es eine großzügige Geste gewesen, als er den Jungen rechtmäßig dem eigenen Vater übertragen hatte, oder war es ihm bloß eine Erleichterung gewesen, als er diesen Bastard von der langen Liste seiner Erben streichen konnte?
»Was für eine Krankheit hat ihn denn befallen?«
»Eigentlich ist es gar keine Krankheit. Eine unerwartete … Tragödie, oder ein grausamer Unfall. Die vielen Mutmaßungen und Unsicherheiten machen es noch schlimmer. Meinen Gemahl hat es in tiefen Kummer gestürzt, und für uns alle in Porifors war es ein großer Schock … Oh, da kommt er ja zurück.«
Lord Arhys hatte sich aufgerichtet und hielt wieder auf seinen Platz an der Ehrentafel zu. Der Offizier, mit dem er gesprochen hatte, stand ebenfalls auf, salutierte knapp und verließ den Innenhof. Cattilara sprach noch leiser: »Es verstört meinen Gemahl zutiefst, darüber reden zu müssen. Ich werde Euch später im Vertrauen alles darüber erzählen, hm?«
»Danke«, erwiderte Ista. Sie wusste nicht recht, wie sie auf all diese geheimnisvollen Andeutungen reagieren sollte. Sie wusste allerdings, was sie als Nächstes fragen wollte: Ist Lord Illvin ein hoch gewachsener, hagerer Mann, mit Haaren wie ein Fluss aus geronnener Nacht? Dy Arbanos der Jüngere konnte natürlich auch klein sein, oder so rund wie ein Fass, oder feuerrotes Haar haben, oder kahlköpfig sein. Sie konnte fragen, und Cattilara würde es ihr sagen – und dann würde der Knoten in ihrem Magen sich lösen.
Die Tische wurden abgeräumt. Der vorhin von Arhys’ ausgesandte Offizier führte einige Soldaten herein. Sie trugen mehrere Kästen, Truhen und Taschen mit sich, dazu verschiedene Waffen und Rüstungsteile. Sie legten alles vor der erhöhten Tafel ab. Es war die Beute der gestrigen Schlacht, erkannte Ista. Lord Arhys und Lady Cattilara traten gemeinsam vor, stellten ein kleines Kästchen vor Ista ab und öffneten es.
Die zahllosen Schmuckstücke darin strahlten so viel Leid und Sterblichkeit aus, dass es Ista traf wie ein körperlicher Anprall. Anscheinend war sie die Erste, die vom Unglück der Jokoner profitieren sollte. Mehrere Ringe, Fibeln und Broschen von feinster Machart oder offensichtlich weiblicher Gestaltung glänzten im schwindenden Licht. Wie viel davon war erst vor kurzem aus Rauma geraubt worden? Wie viel war für Mädchen in Jokona bestimmt gewesen, die ihren Galan nun niemals wiedersehen würden? Ista holte tief Luft, setzte ein geziemend dankbares Lächeln auf und brachte ein paar angemessene Worte hervor. Sie lobte Arhys und dessen Männer für ihren Mut und ihre rasche Reaktion auf den Durchzug der Angreifer. Dabei hob sie die Stimme, damit ihre Schmeicheleien auch bis zu den entfernteren Tischen drangen.
Als Nächstes erhielt Ferda ein außergewöhnlich schönes Schwert, zu seiner offensichtlichen Freude. Cattilara verschenkte
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