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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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konnte. Womöglich wollte die Gräfin auch die Zubereitung der Mahlzeiten überwachen. Das stille, dämmrige Gemach, die Müdigkeit und die Wohltat sauberer Haut und sauberer Kleidung vermittelten Ista das Gefühl – oder die Illusion? –, endlich eine Zuflucht gefunden zu haben. Obwohl sie noch immer ein wenig Kopfschmerz hatte und eine leichte Anspannung fühlte, sanken ihre Lider herab.
    Plötzlich spürte sie einen kühlen Hauch auf der Wange und schlug verärgert die Augen wieder auf. Im Grunde verwunderte es sie nicht, dass es in dieser Burg Geister gab – die gab es in allen alten Festungen. Und es wunderte sie auch nicht, dass diese Geister nun hervorkamen und einen neuen Besucher in Augenschein nahmen; dennoch erschrak Ista, als sie sich auf die Seite drehte und einen verschwommenen weißen Fleck sah, der vor ihr in der Luft schwebte. Während sie ihn unwillig anstarrte, kamen zwei weitere aus den Wänden und gesellten sich zu dem ersten, als würden sie von ihrer Wärme angezogen. Es waren alte Geister, schwach und formlos und beinahe gänzlich einem gnädigen Vergessen anheim gefallen. Zornig verzog Ista die Lippen. »Hinweg, Verlorene«, flüsterte sie. »Ich kann nichts für euch tun.« Eine wischende Bewegung mit der Hand ließ die Umrisse wie Nebel verwehen, und sie verschwanden vor ihrem inneren Auge. Kein Spiegel hätte diesen Anblick gezeigt, kein Begleiter ihn wahrgenommen.
    »Majestät?«, murmelte die Akolythin schläfrig.
    »Es ist nichts«, beruhigte Ista sie. »Ich habe bloß geträumt.«
    Es war kein Traum gewesen. Es war ihr zweites Gesicht, das wieder zurückgekehrt war. Unerwünscht, unwillkommen, ärgerlich. Dennoch … trotz des hellen Nachmittags blieb manches an diesem Ort dunkel und undurchdringlich. Vielleicht würde sie diesen klaren Blick brauchen.
    Keine Gabe der Götter ist ohne Dornen.
    Ista erinnerte sich an ihren letzten lebhaften, beunruhigenden Traum und wagte kaum, wieder einzuschlafen. Stattdessen verharrte sie wohl eine Stunde lang am Rande eines unruhigen Halbschlafs, bis Cattilara und Ihre Damen wiederkamen und sie abholten.
    Das ältere Kammerfräulein richtete Istas Haar so, wie es offensichtlich der hiesigen Mode entsprach: vorn geflochten und hochgesteckt, hinten frei über die Schulter fallend. Bei Cattilara fielt das Haar in üppigen Wellen; Istas fahlbrauner Schopf hingegen hatte sich bei ihrem Schläfchen vermutlich verheddert, und sie befürchtete, dass ihr Haar inzwischen wie ein Wischmopp aussah. Immerhin bot ein lavendelfarbenes Hängekleid aus Leinen, mit einem schwarzseidenen Überwurf, der unter der Brust von der Brosche zusammengehalten wurde, einen annehmbar würdevollen Anblick.
    Die Sommerhitze lastete schon früh auf diesem nördlichen Landstrich. Die Tische waren im Hof aufgestellt, und das Essen wurde aufgetragen, als die tief stehende Sonne gerade hinter den Dächern versank und die immer längeren Schatten Schutz vor der Glut boten. Die Speisetafel stand an der Stirnseite des Hofes, dem sternförmigen Brunnen gegenüber, und zwei längere Tafeln waren senkrecht dazu aufgestellt.
    Ista erhielt einen Platz zur Rechten Lord Arhys; Lady Cattilara saß auf ihrer anderen Seite. Arhys war schon in Eisen und blutbespritztem Leder eine eindrucksvolle Erscheinung gewesen; nun, in seiner höfischen Kleidung aus grauem Tuch mit Goldbesatz, die nach Zitronen duftete, sah er umwerfend aus. Er lächelte herzlich. Istas Herz tat einen Sprung. Sie nahm zusammen, was sie noch an Zurückhaltung aufbringen konnte, grüßte kühl und zwang sich, nicht zu ihm zu schauen.
    Ferda erhielt einen Ehrenplatz auf der anderen Seite der Gräfin. Ein älterer Herr in den Roben eines Geistlichen saß links neben Arhys, einen Platz entfernt. Einer der Unterbefehlshaber kam heran, blieb aber stehen, als Arhys zwei Finger über dem leeren Sitz emporhielt. Der Offizier nickte verstehend und ging davon, um an einem der niederen Tische Platz zu nehmen.
    Lady Cattilara beobachtete dies. Sie beugte sich hinter Ista zu ihrem Gemahl hin und flüsterte: »Mein Herr Gemahl. Angesichts der hoch geehrten Gäste sollten wir heute Abend eine Ausnahme machen und diesen Platz nutzen.«
    Arhys Blick wurde finster. »Heute Abend am allerwenigsten.« Missmutig runzelte er die Stirn und legte einen Finger auf den Mund. Warnend?
    Mit zusammengepressten Lippen lehnte Cattilara sich wieder zurück. Doch um Istas willen rang sie sich schließlich wieder ein Lächeln ab und wechselte höfliche

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