Paladin der Seelen
Herbst geplant ist, wird nicht bloß ein Überfall an der Grenze sein. Außerdem gab es hier in diesem Frühjahr einen schrecklichen Vorfall, der die Beziehungen zum Fürsten von Jokona bestimmt nicht verbessert hat.« Ista blickte nicht zu dem Raum an der Ecke der Galerie hin.
»Meint Ihr Porifors Rittmeister, der von diesem jokonischen Höfling niedergestochen wurde? Goram hat mir davon erzählt, als wir dieses fette Palominopferd abgerieben haben. Ein seltsamer Bursche. Ich glaube, er ist nicht ganz richtig im Kopf. Aber er versteht etwas von Pferden.« Sie bemerkte, dass Istas Humpeln schlimmer wurde. »Setzt Euch, Majestät, und ruht ein wenig aus.« Sie führte Ista zu einer Bank, die an einem Ende des Hofes im Schatten lag, und sorgte mit einer Aura entschlossener Achtsamkeit dafür, dass Ista sich niederließ.
Nach einem Augenblick des Schweigens warf sie Ista einen Seitenblick zu. »Wie ich schon sagte – ein seltsamer alter Kauz, dieser Goram. Er wollte wissen, ob eine Königin von höherem Rang ist als eine Prinzessin. Weil ja die Prinzessin die Tochter eines Fürsten ist, Ihr aber nur die Tochter eines Herzogs seid. Und die Witwe von König Orico, Sara, ist zudem noch eine neuere Königinwitwe als Ihr. Ich habe ihm gesagt, dass ein Herzog von Chalion jeden roknarischen Fürsten aufwiegt, und dass Ihr außerdem die Mutter der Königin von ganz Chalion-Ibra seid, und das ist sonst niemand .«
Ista rang sich ein Lächeln ab. »Er trifft nicht häufig auf Königinnen, nehme ich an. Haben deine Antworten ihn beruhigt?«
Liss zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus.« Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. »Ist es nicht seltsam, dass ein Mann so betäubt daliegt, und das für Monate?«
Jetzt war es an Ista, mit den Schultern zu zucken. »Schlaganfälle, Schädelbruch, ein gebrochenes Genick … Ertrinken … manchmal geschieht es.«
»Manche erholen sich aber, nicht wahr?«
»Ich nehme an, wenn sie sich erholen, tun sie das … früher. Die meisten, die auf diese Weise niedergestreckt werden, leben danach nicht mehr lange, es sei denn, ihnen wird eine außergewöhnlich gute Pflege zuteil. Es ist ein hässlicher und langsamer Tod. Besser schnell sterben, von einem Augenblick auf den anderen.«
»Wenn Goram für Lord Illvin nur halb so gut sorgt wie für seine Pferde, erklärt es das vielleicht.«
Ista bemerkte, dass der kleinwüchsige Mann aus dem Gemach an der Ecke gekommen war und sich hinter das Geländer gehockt hatte, von wo er die Frauen beobachtete. Nach einiger Zeit erhob er sich wieder, stieg die Treppe hinab und überquerte den Hof. Als er näher kam, verkürzten sich seine Schritte; er zog den Kopf ein wie eine Schildkröte, und seine eine Hand fasste die andere.
Ein Stück entfernt blieb er stehen, beugte die Knie und senkte den Kopf – erst in Istas Richtung, dann zu Liss, dann wieder zu Ista, als müsse er sich noch einmal vergewissern. Seine Augen besaßen die Farbe von mattem Stahl. Er starrte unter seinen buschigen Brauen hervor, ohne zu blinzeln.
»Ja«, sagte er schließlich und starrte zu Boden. »Sie ist die, wovon er immer geredet hat. Ja.« Er schürzte die Lippen, und sein Blick richtete sich plötzlich auf Liss. »Hast du sie gefragt?«
Liss lächelte schief. »Grüß dich, Goram. Ich war gerade dabei.«
Er schlang die Arme um den Oberkörper und wippte vor und zurück. »Dann frag sie.«
Liss neigte den Kopf. »Warum fragst du sie nicht selbst? Sie beißt nicht.«
»‘b ‘n ‘t«, nuschelte er und starrte wieder auf seine gestiefelten Füße. »Du.«
Liss zuckte in amüsierter Verwirrung mit den Schultern und wandte sich Ista zu. »Majestät, Goram wünscht, dass Ihr hinaufkommt und Euch seinen Herrn anseht.«
Ista lehnte sich zurück und schwieg für einen langen Atemzug. »Warum?«, fragte sie dann.
Goram blickte zu ihr auf, dann wieder hinunter auf seine Füße. »Ihr seid die, von der er immer geredet hat.«
Nach einem weiteren langen Moment sagte Ista: »Gewiss würde kein Mann sich wünschen, dass er von Fremden auf seinem Krankenlager begafft wird.«
» Das ist schon in Ordnung«, behauptete Goram. Er blinzelte; dann starrte er sie wieder unverwandt an.
Liss hatte Lachfältchen um die Augen. Hinter vorgehaltener Hand flüsterte sie Ista ins Ohr: »In den Ställen war er redseliger. Ich glaube, Ihr macht ihm Angst.«
Ista dachte, dass sie glattzüngiger Überredungskunst wohl widerstehen könnte. Doch in diesem seltsamen Knäuel fand sie kein Ende, um sich
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