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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schätzte und ehrte und dennoch offen für neue Impulse war. Wäre er am Leben geblieben, hätte Minos sich nicht mit Asterios begnügen müssen, einem ungewissen Kandidaten, der zuviel auf die Einflüsterungen der Frauen hörte und nur schwer für die Sache der Männer zu erwärmen war.
    Gedungene Mörder hatten alle Pläne vereitelt! Deshalb lag Androgeus jetzt in dieser Gruft, anstatt auf dem Greifinnenthron zu regieren.
    Weder Räucherung noch Trankopfer hatten seine Seele auf ihrem Weg zu den Inseln der Seligen begleiten können. Minos hatte allein die Totenwache bei ihm gehalten. Auf seine Weise hatte er Abschied genommen und immerwährende Rache geschworen. Erst in der Morgendämmerung hatte er ihn freigegeben und zugelassen, daß man den Leichnam in einen leinenausgeschlagenen Tonsarkophag gebettet hatte.
    Bis der Tholos fertig gebaut war, hatten die sterblichen Überreste von Androgeus in einem Felsengrab geruht. Mit einem bitteren Lächeln dachte Minos an den Tag, an dem sie Androgeus hierher zu seiner letzten Ruhestatt gebracht hatten. Krieg und Aufruhr hatten in der Luft gelegen; die kretische Flotte ankerte vor Phaleron, und all seine Bundesgenossen standen bereit. Bis zuletzt hatte Pasiphaë sich geweigert, den toten Sohn dem Land seiner Mörder zu überlassen. Aber er war standhaft geblieben. Trotz ihres Drängens hatte er Androgeus nicht der kretischen Erde übergeben, die seinen Leib tröstlich in ihren dunklen Schoß aufgenommen hätte. Ebenso hatte er ihn der attischen versagt. Hier, im Herzen des Tholos, den kretische Baumeister aus Quadern geschliffenen Feuergesteins errichtet hatten, blieb der Tote der Stachel im Fleisch der Athener. Kein Schleier barmherzigen Vergessens konnte sich jemals über dieses schwarze Mahnmal senken.
    Und sie mußten einen hohen Preis für den Meuchelmord bezahlen: Fleisch von ihrem Fleisch. Das Orakel von Delphi hatte besiegelt, was Minos von den Athenern damals gefordert hatte. Nur so, hatte der Spruch der Priesterin damals gelautet, konnten Hungersnot und Seuchen beendet und das Verbrechen gesühnt werden, dessen sich Athenai schuldig gemacht hatte.
    Vierzehn Kinder aus den nobelsten Familien der Stadt hatten schon zweimal die Kreter auf die Insel der Großen Mutter begleitet, um in Jahren des Einweihungsweges die alten Geheimnisse zu erfahren. Alle Mysten veränderten sich von Grund auf; keiner von ihnen kehrte nach neun Jahren als der zurück, als der er nach Kreta aufgebrochen war – falls er überhaupt wieder nach Athenai heimsegeln wollte.
    Minos dachte an den hitzigen Bastard mit den kalten Augen und lächelte. Die große Schicksalsspinnerin hatte ihm gerade zum richtigen Zeitpunkt eine wunderbare Beute ins Netz gelegt. Sollten sie nur unverschämt mit ihrem Eisen vor ihm prahlen; wie unendlich lang würden neun Jahre für Aigeus sein, dessen Thron schon jetzt von den alten Familien der Stadt gierig umzingelt war! Was konnte in dieser Zeit nicht alles geschehen: ein Sturz oder eine Erkältung, die sich in der zugigen Burg zur Lungenentzündung verschlimmerte, und der blutige Kampf um die Königsnachfolge wäre entfacht. Sein Lächeln wurde breiter. In diesem Fall würde er es sich nicht nehmen lassen, den Bastard höchstpersönlich im Schutz der gesamten kretischen Flotte in seine Heimat zu geleiten.
    Ein Räuspern schreckte ihn auf. Lautlos war Deukalion nähergekommen. Er hielt Ölbaumzweige in der Hand und sah ihn mit einem seltsamen, bittenden Ausdruck an.
    »Wieso bleibst du nicht draußen?« fuhr Minos ihn an.
    »Ich mußte kommen«, erwiderte Deukalion. »Vergiß nicht, daß er mein Bruder ist. Du hast nicht nur einen Sohn, Vater.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, kniete er kurz vor dem Schrein nieder. Dann wandte er sich zum Sarg und breitete das Laub wie einen silbriggrünen Frühlingsfächer auf ihm aus. Mit gedämpfter Stimme begann er zu beten.
    »Allmächtige Mondgöttin, Herrscherin des sternentflammten Firmaments, Du sammelst alle verstreuten Erinnerungen und vergessenen Träume der Menschen und verwahrst sie in Deinem silbernen Krug bis zum Morgengrauen. Beim ersten Tageslicht fließen sie als die Tränen des Mondes zurück und legen sich als Tau auf die schlafende Erde.« Deukalion hielt inne, trat rasch auf Minos zu und zog ihn zum Sarg. Er drückte die Hand fest gegen den kühlen Ton und legte seine darüber. »So kehren auch unsere Tränen, die wir um Androgeus geweint haben, stets wieder zu Dir zurück. Zu Dir, die Androgeus hervorgebracht

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