Palast der blauen Delphine
fuhr Theseus fort: »›Fürchte dich nicht, Sohn des Aigeus‹, so lautete seine Botschaft. ›Du wirst den Stier bezwingen und als König über Athenai herrschen. Du kehrst mit denen zurück, die mit dir gingen.‹ Hört ihr – kein Leid wird uns zustoßen. Wir segeln sicher in Apollons Hand!«
Er lief auf Aigeus zu, der ungläubig zugehört hatte.
»Theseus, ich bitte dich inständig, mach nicht alles noch schlimmer!« flehte der Alte. »Warum kannst du dich nicht einmal beherrschen? Du weißt nicht, wozu die Kreter fähig sind.«
»Du ahnst nicht, wozu ich fähig bin«, entgegnete Theseus leise. »Gib mir deinen Segen, Vater!« fuhr er lauter fort. »Aus deiner Hand will ich den geweihten Ölzweig empfangen, der mit weißer Wolle gebunden ist, um Apollo gnädig zu stimmen.«
Widerstrebend gehorchte Aigeus und überließ ihm das helle Grün. Wie eine Beute hielt Theseus den Zweig über seinem Kopf und zeigte ihn den Athenern.
»Dein Auge ruhe auf uns, göttlicher Apoll«, betete er laut. »Und Deine Hand führe uns sicher durch alle Gefahren. Gib, daß Deine Prophezeiung sich erfüllt und wir alle wohlbehalten an die Herdstätten unserer Eltern zurückkehren! Einmal noch müssen wir uns den Kretern beugen. Die schwarzen Segel der Trauer entführen uns auf ihre Insel. Aber das wird das letzte Mal sein.«
Seine Stimme überschlug sich beinahe. »Vor Deinem heiligen Tempel, vor den Männern und Frauen Athenais gelobe ich feierlich, mit den weißen Segeln des Triumphes heimzukehren!«
Zwischen den Welten
Das Flüstern hatte sich in seinen Traum gestohlen, zwei Stimmen, girrend und verlangend die der Frau, beschwichtigend die männliche. Schlaftrunken richtete er sich auf, aber da war nichts als das Knattern der Segel und der gleichmäßige Schlag der Ruderer.
Noch leicht benommen blinzelte Asterios zum Himmel empor. Die Mondsichel war hinter grauen Wolken verborgen, kaum ein Stern war zu erkennen. Er hatte geträumt und wieder die Todesbarke gesehen.
Und da hörte er sie wieder. Ein Mann und eine Frau standen kaum einen Steinwurf entfernt im Dunkeln und unterhielten sich halblaut.
»Genug jetzt! Gib mir das Mittel!«
»Ein paar Tropfen zuviel, und du hältst einen Vergifteten in deinen Armen!«
An dem kehligen Lachen erkannte er Ariadne. »Das überlaß nur mir, Iassos!« antwortete sie scharf. »Wenn dein Saft mir wirklich seine Liebe zurückbringt, wirst du es nicht bereuen.«
»Aber er liebt dich doch!« jammerte der Parfumhändler.
»Was versteht ein alter Mann schon davon! Asterios ist kalt geworden und hat nur noch seine Visionen im Kopf – wenn nicht diese ägyptische Schlange hinter allem steckt! Hast du nicht bemerkt, wie er meine Nähe meidet? Wie ängstlich er sich den ganzen Tag hinter Ikaros versteckt? Ach, was rede ich«, sagte sie ärgerlich. »Her mit dem Fläschchen! Oder soll ich Pasiphaë etwas von den Geschäften erzählen, die dich wirklich reich gemacht haben?«
»Du bekommst, was du willst«, stieß Iassos ängstlich hervor. »Aber du mußt dich exakt an meine Anweisungen halten.«
»Was muß ich tun?«
»Die Mixtur besteht aus gekochter Milch, unter die Sesamschoten, Spatzeneier, Weizenschrot und Bohnenmehl gemengt sind.«
»Und das soll wirksam sein?«
»Muskatnüsse sind das Wichtigste«, sagte er leise. »Und ihre Blüten, die mit Pfeffer und Zimt lange in Rinderfett eingelegt wurden.«
»Schmeckt das Zeug so widerlich, wie es klingt?«
»Nicht, wenn es in gewürztem Wein aufgelöst wird«, erwiderte Iassos unglücklich. »Aber keinesfalls mehr als zehn Tropfen auf einen Becher!«
Wieder hörte Asterios ihr vertrautes Lachen.
»So einfach ist das? Wenn du allerdings nicht die Wahrheit sagst, Iassos, wird dein künftiges Leben ziemlich ungemütlich werden. Wo ist das Fläschchen?«
»Hier. Aber du darfst es höchstens zweimal verabreichen.«
»Ich will ihn ja nicht umbringen. Geh jetzt wieder in deine Koje!«
An den eiligen Schritten erkannte Asterios, wie bereitwillig Iassos gehorchte. Er trank ein paar Schlucke Wasser. Er konnte kaum glauben, was er soeben gehört hatte. Ein Liebestrank, der mich gefügig machen soll, dachte er. Wie kann Ariadne nur so an mir zweifeln!
Er streckte sein heißes Gesicht in den Nachtwind. Wahrscheinlich würde sie erst dann zufrieden sein, wenn sie ihn mit Haut und Haaren verschlungen hätte. Ariadne wollte nichts von den Sorgen wissen, die ihn quälten. Das Schicksal der anderen Menschen schien ihr vollkommen gleichgültig zu
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