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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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seiner Seite schimmerte Deukalions helles Haar wie ein goldener Helm. Ohne seinen Kopf zu wenden, spürte er, wie der Freund neben ihm sich verkrampfte. Beruhigend legte er ihm die Hand auf die Schulter. Ikaros dankte ihm mit einem kleinen Lächeln.
    Ariadne, die sie beobachtet hatte, schüttelte verächtlich den Kopf. Seit ihrer Ankunft hatte Asterios nichts unversucht gelassen, um sie zu einer klärenden Aussprache zu bewegen. Aber sie benahm sich wie ein trotziges Kind, tat, als sei er gar nicht vorhanden und übersah ihn ostentativ während der Mahlzeiten an der königlichen Tafel. Es kostete ihn viel Kraft, äußerlich gelassen zu bleiben.
    Dann war er ihr eines Nachmittags plötzlich im Westkorridor über den Weg gelaufen. Die Gelegenheit schien günstig. Kein Lauscher war in der Nähe. In ihrem blassen Gesicht glühten ihre Augen wie dunkle Feuer. »Umarme doch das steinerne Bildnis der Göttin, wenn du zu feige bist für Frauen aus Fleisch und Blut! Ich will Liebe und Leidenschaft – wenn nicht mit dir, dann mit einem anderen!«
    Er blieb stumm und empfand die Fremdheit zwischen ihnen als undurchdringliche Mauer. Er wußte, daß er sich nicht von ihr lösen konnte, gleichgültig, wie abschätzig Ariadne ihn auch behandelte. Er würde nicht aufhören können, sie mit jeder Faser seines Körpers zu lieben und zu begehren.
    Flötentöne und Stimmengewirr brachten ihn in die Gegenwart zurück. Phaidra und Eudore waren angekommen, umringt von einer Schar junger Mädchen. Vergeblich hielt Asterios Ausschau nach dem Purpurrot der Königin; Mirtho konnte er ebenfalls nirgends entdecken. Die höchste Priesterin der Großen Mutter hatte offenbar das Begrüßungsritual ihrer jüngsten Tochter überlassen. Phaidra, wie immer in Weiß, trug als Halsschmuck die Mondsichel an einer silbernen Kette und wirkte gelassen. Wäre da nicht die Unruhe in ihren Augen gewesen, hätte sie sogar ihn täuschen können. So aber wußte Asterios, daß sie in Wirklichkeit aufgeregt war.
    Wie sehr sie sich in den vergangenen Jahren verändert hat, dachte er erstaunt. Aus dem neugierigen Kind war eine junge Frau geworden, der jede Koketterie fremd war. Die Blicke der Männer schien sie nicht einmal zu bemerken. Die jüngste Tochter der Königin hielt sich am liebsten in der Gesellschaft der Weisen Frauen auf.
    Ihr schmales Gesicht hatte weder die ebenmäßigen Züge Pasiphaës noch die ausdrucksvolle Vitalität des Vaters. Über sanft gebogenen Mandelaugen von rötlichem Braun spannte sich eine hohe Stirn. Die lange Nase war leicht gebogen und von Sommersprossen bedeckt, das Kinn energisch. Die schmalen Lippen hatte sie meist skeptisch geschürzt oder nachdenklich verschlossen. Nur wenn sie lächelte, verliehen Grübchen ihren Wangen überraschende Weichheit.
    Seit dem Tod Meropes hatte sie sich mit Hingabe dem Amt der Priesterin gewidmet, als wollte sie durch Sorgfalt und Fleiß wettmachen, was ihr an Jahren noch fehlte. Sie wich kaum von der Seite ihrer Mutter und fehlte bei keiner Opferung. Nach und nach erlernte Phaidra so die vielfältigen Zeremonien und kasteite sich unbarmherziger, als es die vorgeschriebenen Fastenzeiten verlangten. Oftmals hielt sie es nicht aus in den Mauern von Knossos oder Phaistos. An der Seite ihrer Brüder Katreus und Glaukos durchstreifte sie die Wälder der Insel und besuchte die heiligen Höhlen. Lieber aber noch zog sie allein los, nur von ihren Hunden begleitet, stillte ihren Hunger mit Beeren und Pilzen und schlief im Mondschein auf der bloßen Erde, als wolle sie deren Kraft und Fruchtbarkeit ganz in sich aufnehmen.
    An der Seite Pasiphaës hatte sie in diesem Frühjahr erstmals die Große Zählung vollzogen. Mädchenhaft war sie in ihrem weißen Kleid neben dem leuchtenden Rot der Mutter erschienen. Die Göttin in zweierlei Gestalt, als jungfräuliche Jägerin und reife Garbenträgerin, hatte Asterios bei ihrem Anblick gedacht. Noch meinte er, den hellen Klang ihrer Stimme zu hören, als sie, blaß vor Aufregung, die Große Mutter um ihren Segen für Mensch, Tier und Pflanzen angerufen hatte.
    Jetzt schenkte ihm Phaidra eines ihrer seltenen Lächeln. Zwischen ihnen hatte sich eine Verbundenheit entwickelt, die keiner Worte bedurfte.
    Das erste der Boote hatte mittlerweile am Kai angelegt. Die Instrumente verstummten, alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf Phaidra, und es wurde still.
    Feierlich erhob sie die Arme zum Gebet. »Große Mutter des unergründlichen Meeres, Du hast die Seefahrer

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