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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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halbe Wahrheit. Er hatte seinen Mund nicht aufbekommen, weil er vor seinem Sohn nicht als Verräter dastehen wollte. Die Entdeckung seiner Mittäterschaft konnte er nicht dauerhaft verhindern. Aber er mußte sich wenigstens nicht dem enttäuschten Blick der grauen Augen aussetzen.
    Viele Nächte hatte er sich gequält, bis er schließlich zu diesem einsamen Entschluß gekommen war. Er hoffte von ganzem Herzen, daß Minos seinem Sohn nichts antun würde. Auch nicht, wenn sein Vater, der Verräter, entkommen wäre.
    Daidalos schielte zu dem Pferd hinüber, das er in einiger Entfernung an einen Busch gebunden hatte. Es wieherte leise. Dann schaute er zum Himmel hinauf. Die Nacht war klarer nun, die Wolken fast verschwunden. Die schmale Mondsichel war gut zu erkennen. Dort drüben stand der kleine Wagen am Firmament, mit dem leuchtendsten aller Sterne, wichtig für die Seefahrer, die noch im Herbst das stürmische Meer befuhren.
    Aber woher kam auf einmal der Feuerschein im Osten, der den ganzen Horizont erhellte? Er stieg den Abhang ein wenig hinauf, um bessere Sicht zu haben.
    Die Schiffe, dachte er mit eigentümlicher, fast schwereloser Ruhe, als er das Rot und Orange sah, das in den Nachthimmel loderte. Er fühlte sich wie ein Beobachter, der ganz zufällig Zeuge eines bemerkenswerten Ereignisses wurde. Dort drüben ging Minos’ stolze Flotte in Flammen auf. Es würde ihn Jahre kosten, bis alles wieder aufgebaut war.
    Dann erst drang die Bedeutung dessen, was er gesehen hatte, in sein Bewußtsein. Aufgeregt lief er zum Strand hinunter. Sie hatten es geschafft! Theseus war aus dem Labyrinth zurück. Sie waren auf See. Sie würden gleich da sein, ihn zu holen.
    Er wagte nicht mehr, seinen Posten direkt am Wasser zu verlassen. Daidalos lauschte angespannt in die Nacht hinaus. Aber kein Ruderklatschen, kein Segelknattern waren zu hören.
    Als seiner Schätzung nach mindestens eine weitere Stunde unerträglich langsam vergangen war, wußte er, warum er sein Pferd nicht losgebunden und nach Hause geschickt hatte. Sie würden nicht mehr kommen. Sie hatten ihn im Stich gelassen. Ihn und seinen klugen Kopf nur benutzt. Sie waren keinen Deut besser als Minos.
    Wahrscheinlich hatte Theseus keinen Augenblick ernsthaft daran gedacht, ihn mit nach Athenai zu nehmen. Er lachte bitter auf. Warum sollte er sich auch mit einem Mörder belasten, nachdem er jetzt vermutlich in Händen hielt, was er so heiß begehrt hatte?
    Daidalos trieb sein Pferd an. Er mußte so schnell wie möglich zurück zum Palast der blauen Delphine. Schon im Traben benetzte er seinen Finger mit Speichel und hielt ihn gegen den Wind. Er blies von Südwest. Ideal zum Aufsteigen. Jetzt durfte nichts mehr dazwischenkommen, wenn er überleben wollte. Den Flugapparat bereit machen. Sich in Sicherheit bringen, bevor alles zu spät war. Seinen Sohn retten.
     
    Der Zustand des Kranken hatte sich im Lauf der Nacht verschlechtert. Das Fieber war gestiegen; offensichtlich litt Asterios unter quälenden Albträumen. Nach nur einer Stunde Schlaf saß Hatasu schon wieder an seinem Lager. Wie ein Rasender warf er sich im Bett hin und her. Es überstieg ihre Kräfte, ihn zu bändigen. Die alte Hamys, Iassos’ stumme Dienerin, die sonst sein Haus in Elyros führte, half ihr dabei.
    Gemeinsam hatten sie seinen glühenden Körper gewaschen und trockengerieben. Immer wieder erneuerten sie die kalten Wadenwickel, in der Hoffnung, die Temperatur senken zu können. Aber das Fieber schien unaufhaltsam zu klettern.
    Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklung war Iassos früher als geplant aufgebrochen. Noch vor Sonnenaufgang ritt er auf der gepflasterten Straße, die zum Palast führte. Zwei Reiter überholten ihn, einer davon so ungestüm, daß sein Pferd scheute und er beinahe im Straßengraben gelandet wäre. Er hatte sich kaum von seinem Schrecken erholt, da kam ihm schon eine Handvoll Berittener entgegen. Aiakos preschte ihnen voran.
    »Was ist geschehen?« fragte Iassos. Ein schrecklicher Verdacht begann in ihm zu keimen. »Wohin wollt ihr so früh?«
    Aiakos hielt nur einen Augenblick an. »Im Hafen von Amnyssos brennt die königliche Flotte«, rief er. Er sah aus, als habe er keinen Augenblick Ruhe gehabt. »Angeblich sind die meisten Schiffe zerstört.« Er preschte weiter.
    Iassos wurde bleich vor Schreck. »Große Göttin«, murmelte er. »Als ob ich es nicht geahnt hätte! Wenn wir nur nicht einen Fehler begangen haben, der sich nicht mehr wiedergutmachen

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