Palast der blauen Delphine
feingezeichneten Brauen, den schmalen, festen Mund. Er dachte an die Grübchen in ihren Wangen, die sich nur beim Lächeln zeigten. Jetzt lächelte Phaidra nicht. Ihre Züge spiegelten ihren inneren Aufruhr wider. »Du also warst es«, stieß sie hervor. »Du hast den Mysten niedergeschlagen und gefesselt. Du bist an seiner Stelle ins Labyrinth eingedrungen!«
Theseus erhob sich sofort. Im Stehen überragte er sie ein ganzes Stück. Er konnte auf ihren Scheitel schauen, der weiß zwischen dem roten Haar leuchtete. Sie roch schwach nach Jasmin und Schweiß und war erhitzt wie am Morgen nach der Heiligen Hochzeit. Er hatte Lust, sie in seine Arme zu reißen, ihren Körper mit Küssen zu bedecken. Oder sie zu schlagen, bis sie um Gnade wimmerte. Aber er war wie gelähmt. Stumm vor Glück starrte er sie an.
»Aber wie hast du hineingefunden?« fragte sie erstickt. »Und warum das alles, Theseus?«
Er konnte nicht ertragen, wie sie seinen Namen aussprach. Nicht in dieser Nacht. Er senkte den Kopf.
»Was wolltest du im Labyrinth?«
Er reagierte nicht.
»Noch ein paar Monate, und dir wäre als Eingeweihter der Zugang gestattet gewesen. Du warst so kurz davor! Ich habe dich immer verteidigt und versucht, dich zu verstehen, aber jetzt kann ich dich nicht mehr begreifen!« Sie brach ab. »Weshalb nur, Theseus?«
»Bist du allein?« Er mußte sie unentwegt ansehen.
Sie schaute über die Schulter, bevor sie seine Frage beantwortete. Da war ein Knacksen gewesen, ein leises Schnauben, als wäre jemand am Tanzplatz angekommen. Beide lauschten in die Dunkelheit. Alles blieb still. »Der Junge war in den heiligen Hain getaumelt und redete unverständliches Zeug. Erst allmählich wurde mir klar, wovon er sprach. Er war vollkommen durcheinander. Ich habe ihn nach Hause geschickt und bin sofort losgeritten.« Ihr Ton wurde dringlicher. »Was ist geschehen, Theseus? Was hast du vor?« Dann erst entdeckte sie die Ledermaske an seinem Gürtel. Sie ließ das Öllämpchen fallen. »Große Göttin – du hast die Stiermaske!« flüsterte sie.
Sie taumelte zurück.
»Was ist mit Asterios? Niemals hätte er sie dir freiwillig gegeben! Wo ist er? Was hast du mit meinem Bruder gemacht?«
Theseus zuckte die Achseln.
Phaidra packte seinen Arm und grub ihre Nägel tief in das Fleisch. »Sag mir sofort, wo er ist!«
Er wich zurück und deutete mit dem Kopf nach hinten.
»Etwa noch da drin?« Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Theseus nickte. Er mußte sie hinhalten. Zumindest so lange, bis der Schatten hinter ihr nahe genug war. In der Dunkelheit hatte er ein kleines Leuchten gesehen, das zweimal langsam hin-und herschwang und schließlich erlosch. Das waren sie! Sie waren endlich doch gekommen.
»Ist er verletzt?«
Er sah, wie ihre Lider flatterten. Sie war so nah! Bald würde sie ihn nie mehr verlassen.
Er nickte zweimal, kurz hintereinander. »Jetzt!« Der Schatten holte aus und schlug ihr seine Faust an die Schläfe. Ohne einen Ton sank sie in Theseus’ Arme.
»Die Prinzessin!« sagte Antiochos überrascht. »Ich konnte von hinten nicht erkennen, wer bei dir stand. Was soll mit ihr geschehen? Binden wir sie an einen Baum und verschwinden?«
»Bist du verrückt?« erwiderte Theseus scharf. »Weißt du nicht, wer sie ist? Phaidra ist die Anwärterin auf den Greifinnenthron. Solange sie bei uns ist, wird Minos sich hüten, uns anzugreifen. Wir nehmen sie natürlich mit – fessle sie!«
»Und was ist mit Ariadne?« Mißtrauisch starrte Antiochos ihn an. »Willst du noch mehr von ihnen mitnehmen? Alle vielleicht?«
»Red keinen Unsinn!« knurrte Theseus. »Fessle sie lieber, bevor sie wieder zu Bewußtsein kommt! Dort hinten liegen jede Menge Schnüre.«
»Und wenn sie schreit?«
»Bekommt sie einen hübschen kleinen Knebel«, sagte er.
Er hielt sie fest, während Antiochos ihre Arme und Beine festzurrte. Dann nahm er sie auf wie ein schlafendes Kind. Ihre Brust hob und senkte sich langsam. So hatte er sie schon einmal getragen. Er mußte sich beherrschen, um sein Gesicht nicht in ihrem Haar zu vergraben.
»Wo ist der Wagen?« fragte er knapp.
»Dort drüben. Ich wollte nicht zu nah heranfahren.«
»Weshalb bist du so spät gekommen? Und wieso du und nicht Prokritos?« fragte Theseus.
Er legte Phaidras Kopf vorsichtig in das Gefährt und breitete eine Decke über sie.
»Es gab Schwierigkeiten mit dem Wagen«, antwortete sein Komplize. »Prokritos hat kein Wort verraten, aber ich spürte, wie er immer aufgeregter
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