Palast der blauen Delphine
wünsche euch alles Glück dieser Welt!«
»Du kannst es dir noch immer überlegen«, flüsterte Hatasu unter Tränen. »Du weißt, wo wir sind. Du kennst die Gegend. Du wirst uns finden. Ich bete, daß wir dich bald gesund wiedersehen. Wir brauchen dich – Vater!«
Aiakos drückte sie lange an sich und murmelte Trostworte in ihr Haar. Es war ein endgültiger Abschied, denn sie wußte genau, daß er nicht nachkommen, sondern bis zuletzt an Minos’ Seite ausharren würde. Heimat, das war der Freund für ihn, die einzige Familie, die Aiakos jemals wirklich gehabt hatte.
Während sie vorwärtszogen, spürte sie die innere Unruhe, die Asterios trieb. Sie sah ihn immer wieder fragend an. Aber sie drang nicht in ihn. Zweimal hatte Hatasu schon versucht, ihn zu einer Rast zu bewegen. Die Älteren und die Familien mit Kindern waren ein gutes Stück zurückgefallen; manche stöhnten und ächzten unter ihrer Last. Endlich, als die Sonne hinter dem Bergrücken versank und die Gipfel sich in Blau hüllten, gab er das Zeichen zum Anhalten.
Sie lagerten im Freien um ein großes Feuer, das wenigstens für den Augenblick die Illusion von Trost und Wärme spendete. Keiner von ihnen war besonders hungrig; kaum einer hatte Lust zu reden. Sehr bald schon rollten sie sich in ihre Decken und versuchten einzuschlafen.
In der Morgendämmerung wurden sie von Hufgeklapper und Stimmengewirr geweckt. Asterios war sofort wach. »Du bist es!« sagte er ungläubig und schälte sich aus seinem klammen Umhang. »Daß du doch noch gekommen bist!«
»Deine Worte haben mir keine Ruhe gelassen«, erwiderte Deukalion. Er war unrasiert und staubig, wirkte aber wohlgemut. »Aber ich wollte nicht zu euch stoßen, ohne wenigstens die Mysten mitzubringen.« Er deutete auf die kleine Schar hinter sich. »Ich mußte sie nicht zum Kommen überreden. Ich denke, wir werden schon eine Verwendung für sie finden.«
»Ja, das denke ich auch«, lächelte Asterios und fühlte sich unendlich erleichtert. Plötzlich wußte er, daß seine Entscheidung richtig gewesen war. Er mußte nicht wie ein Kind zu Tyro laufen, um sich Rat zu holen. Der Heilige vom Berg war für immer mit ihm. Beim Gedanken an seine Familie erlosch sein Lächeln wieder. »Und die anderen?« fragte er bang. »Pasiphaë? Meine Geschwister? Aiakos? Die Weisen Frauen?«
»Sind alle im Palast geblieben«, erwiderte Deukalion. »Beziehungsweise in ihren Heiligtümern. Keiner von ihnen wollte gehen. Nicht einmal Katreus, obwohl ich alles versucht habe. Aber vielleicht kommen sie ja später noch nach«, setzte er schnell hinzu.
»Es wird kein ›Später‹ geben«, sagte Asterios düster und ging langsam zu seinem Pferd. Er schnallte das Gepäck fest. »Nicht einmal für uns, wenn wir uns nicht bald auf den Weg machen.«
Erst nachdem sie Naxos verlassen hatten und Delos wie ein Edelstein vor ihnen im Meer lag, kam Theseus zum erstenmal in ihre Kajüte. Man hatte sie seit der Abfahrt aus Amnyssos stets auf der Pritsche gefesselt gehalten. Der Knebel wurde nur zu den Mahlzeiten entfernt, die jedesmal ein anderer brachte; die Lederbänder an ihren Beinen und Armen nur für kurze Zeit gelockert.
Tagelang verweigerte sie die Nahrung und trank nur schlückchenweise von dem brackig schmeckenden Wasser. Sie hatte bereits einiges an Gewicht verloren. Sie sah es an den Beckenknochen, die sich scharf unter ihrem grau gewordenen Gewand abzeichneten. Sie hoffte, daß die Kraft sie nicht zu schnell verlassen würde.
Phaidra lag auf dem schmalen, geflochtenen Bett, das den winzigen Raum beinahe ausfüllte. Seit Tagen hatte sie sich nicht mehr gewaschen. Der leicht ranzige Geruch, der von ihrem Körper und dem verfilzten Haar aufstieg, war ihr zuwider.
Er blieb am Fußende stehen und starrte sie an. Dann trat er langsam näher, zog den Knebel aus ihrem Mund. Sie gab versuchsweise ein paar schnalzende Laute von sich und hütete sich, ihm zu zeigen, wie gut es tat, nicht mehr das Tuch im Mund zu spüren. »Löse die Fesseln!« verlangte sie. »Ich kann meine Beine und Arme kaum mehr spüren.«
Er sah sie an, dann schüttelte er langsam seinen Kopf. »Nein, ich glaube nicht, daß ich dich losbinden werde«, sagte er mit trägen grauen Augen. »Ich mag es, wenn du nicht um dich schlagen kannst. Das gefällt mir. Ausgesprochen gut sogar.«
»Wo ist meine Schwester?« Ihre Stimme klang rauh. »Liegt sie nebenan, in der anderen Kajüte?«
»Sie hat uns leider verlassen«, erwiderte Theseus lakonisch und
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