Palast der blauen Delphine
ließ sich neben ihr auf dem Bett nieder.
Sie rückte zur Seite. »Du lügst«, sagte sie heftig. »Ich habe ihre Stimme gehört. Mehrmals. Immer wieder. Wo ist sie? Was habt ihr mit ihr gemacht? Ich will sie sofort sehen!«
Er faßte unter ihr Kinn und zog sie langsam nach oben, bis ihre Gesichter keine Handbreit mehr voneinander entfernt waren. Dann ließ er sie ohne Vorwarnung fallen. Ihr Rückgrat schmerzte, als sie auf das ungepolsterte Bett zurückfiel.
»Ich lüge nicht«, sagte er nachdrücklich. »Wieso sollte ich? Ich sage die Wahrheit. Ariadne war müde, sehr, sehr müde.« Er lachte leise, bevor er weitersprach. »Sie wollte nur noch schlafen. Da haben wir sie unter einen schönen Baum gebettet und ihr wunderbare Träume geschickt. Ich denke, dort wird sie noch immer schlummern.«
»Du lügst!«
Er schlug ihr hart ins Gesicht. Dann lächelte er wieder. »Ich lüge nicht«, sagte er freundlich. »Ich habe es dir schon einmal gesagt. Warum willst du mir nicht glauben, Phaidra? Du könntest dich mit eigenen Augen überzeugen, wenn ich dich an Deck ließe.« Er ließ eine kleine Pause folgen. »Aber was solltest du da, meine Schöne, in der Sonne, die nur deine weiße Haut verbrennt? Hier unten bist du viel besser aufgehoben.«
Theseus schob den Saum ihres Kleides ein Stück nach oben und streichelte ihre Wade.
»Nimm deine Hand weg!« forderte sie empört. »Was willst du? Was habt ihr mit mir vor? Wollt ihr meinen Vater erpressen? Ich warne dich, Theseus: Wohin ihr uns auch schleppt, Minos wird kommen und uns holen, Ariadne und mich!«
»Das glaube ich kaum«, entgegnete er nachdenklich und fuhr mit der Hand weiter nach oben, bis zu ihrem Schenkel. Sie zuckte zusammen, konnte ihn aber nicht abschütteln. »Ariadne muß er erst einmal finden, auf all den Inseln, die dieses schöne Meer bereichern. Und dich? Wahrscheinlich ist er am Ende glücklich und zufrieden, wenn du erst meine Frau bist.«
»Ich werde niemals deine Frau sein«, erwiderte Phaidra kühl. »Ich bin eine kretische Prinzessin, die Erbin des Greifinnenthrons und höchste Priesterin der Großen Mutter.«
»Du warst schon meine Frau«, sagte Theseus, noch immer lächelnd. »Kannst du dich nicht mehr daran erinnern? In der Nacht der Heiligen Hochzeit!«
»Ich war die Mondkuh, die den Weißen Stier aus dem Meer empfing.« Ihre Stimme zitterte leicht. »Das heiligste aller Rituale, das die Vermählung von Himmel und Erde feierlich begeht. Nur ein Athener wie du kann darüber Witze reißen.«
Theseus neigte sich tiefer über sie, bis er beinahe ihren Mund berührte. Aus der Nähe waren ihre Augen wie tiefe, dunkle Seen. Er sehnte sich danach, in ihnen zu ertrinken.
»Ich mache keine Witze«, flüsterte er. »Der mit der Maske kam zuerst. Ich war der zweite, erinnerst du dich nicht mehr?«
»Nein«, stammelte sie. »Nein! Das kann nicht sein. Nicht du!«
»O doch«, beharrte Theseus und begann, ihren Hals mit kleinen feuchten Küssen zu bedecken. »Es war noch sehr früh, das Meer ganz still und grau. Kein Mensch weit und breit. Nur die Möwen und wir beide. Ich werde es nie vergessen, niemals. Mein ganzes Leben nicht.«
Sie bewegte ihren Kopf so ungestüm, daß er innehielt. »Das ist nicht wahr!« sagte sie zornig. »Vielleicht hast du etwas beobachtet, und jetzt behauptest du irgend etwas, um mir weh zu tun und mich zu quälen!«
»Ich mußte dir ein bißchen weh tun«, sagte Theseus bedauernd. »Aber nur zuerst. Ganz zu Anfang. Dann hat es dir doch Spaß gemacht, mein Liebchen, oder?«
»Laß mich los!« schrie sie. »Laß mich in Ruhe! Verschwinde!«
Theseus erhob sich. Er lächelte noch immer. »Jetzt ist es zu spät, traurig zu sein und die kleine, schamhafte Jungfrau zu spielen.« Er ließ eine Pause folgen. »Wo wir beide doch ganz genau wissen, daß du an keinem Ort deines hübschen weißen Körpers mehr Jungfrau bist.«
Sie schrie und weinte und wand sich in ihren Fesseln, bis es Abend wurde und die Stimmen über ihr verstummten. Dann hörte sie, wie die Beiboote ins Wasser gelassen wurden und sich langsam entfernten. Oben, an Bord, war es ruhig. Bis auf eine Wache, deren Schritte sie hören konnte, waren sie fort. Wahrscheinlich auf die Insel gerudert. Eines der Mädchen hatte ihr am Morgen erzählt, dort wollten sie den Kranichtanz aufführen. Oder das, was sie dafür hielten.
Was hatte er vor, dieser Athener mit den wilden grauen Augen? Was hatte er für einen Plan? Warum war sie hier – und nicht Ariadne?
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