Palast der blauen Delphine
ist lebenswichtig!«
»Ich?« wandte sie leise ein. »Glaubst du, die kommen, wenn ich sie rufe?«
»Es ist zu spät«, murmelte er. »Viel zu spät.« Dann erst schien er zu bemerken, daß sie noch immer neben ihm stand. »Dann bitte Aiakos darum. Ihm zuliebe werden sie kommen.«
Kaum eine Stunde später waren alle beisammen. Asterios beobachtete, wie sie untereinander tuschelten. Mirtho ließ ihn nicht aus den Augen; seine Brüder schauten immer wieder verstohlen zu ihm hinüber. Er sah blaß aus und trug noch immer zahlreiche Verbände.
»Ihr werdet nicht hören wollen, was ich euch zu sagen habe«, begann er schließlich, als alle ruhig geworden waren. »Bei der allmächtigen Göttin, der Herrin über Tod und Leben, beschwöre ich euch, mir zu glauben. Unser aller Leben hängt davon ab. Schreckliches steht uns bevor! Nicht mehr lange, und eine Flutwelle wird über Kreta hereinbrechen. Ich habe roten und schwarzen Aschenregen gesehen und das grollende Beben der Erde gehört. Die Felder werden vergiftet, die Wiesen versengt, und in den Städten wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Ihr müßt sofort den Palast verlassen und damit beginnen, die größeren Siedlungen zu evakuieren.« Er machte eine kleine Pause. »Wenn es dazu nicht ohnehin schon zu spät ist. Was mit den Menschen und Tieren in den entfernteren Dörfern geschehen soll, weiß ich nicht. Die Ansiedlungen, die höher gelegen sind, könnten verschont werden. Ich fürchte, für alle anderen gibt es keine Rettung mehr.«
»Weißt du, was du da sagst?« polterte Minos in die Stille hinein, die seinen Worten gefolgt war. Wie ein alter, zorniger Wolf stürzte er sich auf ihn. »Es ist nicht das erste Mal, daß du uns mit deinen düsteren Warnungen erschreckst. Deine letzte Prophezeiung hat uns Hunderte von Flüchtlingen eingebracht, die wir nur unter größten Schwierigkeiten wieder loswerden konnten. Und was ist tatsächlich geschehen?« Er wandte sich an die anderen. »Nichts! Noch heute leben sie friedlich im Schatten jenes Berges, der längst schon explodiert sein müßte, wäre es nach dir gegangen!«
»Ich höre, was du sagst«, erwiderte Asterios müde. »Und dennoch spielt es jetzt keine Rolle mehr. Es ist der Berg! Es ist immer wieder jener schwarze Kegel, den ich damals schon gesehen habe. Er wird nicht nur die Bewohner von Strongyle vernichten – sondern auch uns, wenn wir uns nicht sofort in Sicherheit bringen!«
»Was sollen wir deiner Ansicht nach tun?« fragte Pasiphaë. »Davonlaufen? Aber wohin?«
»In die Berge, hinauf zu den Höhlen, die uns Schutz bieten«, erwiderte Asterios. »Dort können wir vielleicht überleben. In der Ebene werden wir unweigerlich sterben.«
»Sterben!« wiederholte Katreus ungläubig und schaute sich nach den anderen um. »Und alles, weil ein Vulkan auf einer weit entfernten Insel ausbrechen soll? Das kannst du mir nicht erzählen!«
Halblaute Stimmen erhoben sich. Glaukos und Xenodike pflichteten ihm bei. Akakallis machte ein spöttisches Gesicht und lehnte sich an ihren Gatten.
»Bitte vertraut ihm«, sagte Hatasu leise. Nie zuvor hatte sie in der Runde der kretischen Königsfamilie öffentlich das Wort ergriffen. »Ihr müßt ihm glauben! Ich weiß, daß er recht hat!«
»Aiakos, sag deiner Tochter, daß sie sich nicht einmischen soll in Dinge, die sie nichts angehen!« befahl Minos, und Pasiphaë nickte zustimmend. »Wir haben im Augenblick schon genug Schwierigkeiten! Meine Töchter sind von Athenern feige entführt, Daidalos und Ikaros entflohen, bevor die gerechte Strafe …«
»Was für eine Bedeutung hat das noch, dein Strafen und Verfolgen?« unterbrach ihn Asterios. »Meinst du nicht, daß das alles ganz unwichtig geworden ist – in solch einem Augenblick, wo der Tod uns alle bedroht?«
»Was fällt dir ein? Weißt du nicht, mit wem du sprichst?«
»Asterios, bitte!« schaltete sich Aiakos ein, »du darfst nicht einfach …«
»Versteht ihr nicht, was ich sage?« Jetzt schrie Asterios. »Die Flut wird kommen und alles unter sich begraben! Wir werden alle sterben, wenn wir uns nicht sofort in Sicherheit bringen!«
Keiner reagierte. Seine Hände zitterten, die Stimme drohte ihm zu versagen. Sie glaubten ihm nicht. Was konnte er tun, um sie zu überzeugen?
Asterios ging hinüber zu Pasiphaë. »Mutter! Sag du ihnen als höchste Priesterin der Göttin, daß sie gehen sollen! Schütze die Menschen. Und dein eigenes Leben, ich bitte dich!«
Als sie stumm blieb, wandte er sich an die
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