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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Weidenruten, das zerrissene Papier der Auskleidung, alles war zu einem unentwirrbaren Knäuel verschlungen. Irgendwo zwischendrin mußte Ikaros stecken. Vielleicht lebte er noch. Vielleicht hatte er bei dem Aufprall nur das Bewußtsein verloren.
    Er schwamm heran und versuchte, sich am Korb nach oben zu ziehen. Es gelang ihm nicht, immer wieder rutschte er ab. Er wurde langsamer. Dazu kam die Kälte, die unangenehm in seine Knochen zog. Aber er konnte ihn nicht so zurücklassen!
    Er stieß an den Korb, in der Hoffnung, ihn dadurch umkippen zu können. Sein Gewand verhakte sich an dem Weidengestänge, es riß, als er wütend daran zog. Der vollgesogene weiße Stoff des Ballons kam ihm wie ein Leichentuch vor. Bis auf einen winzigen Rest hatte er sein Vermögen dafür ausgegeben, daß es seinen Sohn unter sich begraben hatte. Keine Prügel oder Schläge dieser Welt würden jemals diese unermeßliche Dummheit sühnen können.
    Schließlich gab er auf. Einer der Flügel war halb abgebrochen und ragte nach oben. Mit letzter Kraft griff Daidalos danach und spürte, wie er unter seinem Gewicht splitterte. Dann fiel das Holzstück vor ihm in die Wellen. Er packte es, klammerte sich daran und versuchte, sich auszuruhen. Am Himmel zeigte sich das Abendrot. Er trieb in den Wellen, paddelte und konnte nur hoffen, auf dem Kurs nach Dia zu sein. Mit dem Auftauchen eines Fischernachens war nicht zu rechnen, nicht zu dieser späten Tageszeit, nicht so weit draußen. Jetzt blies der Wind hart aus Westen. Es sah nach Sturm und Regen aus. Daidalos schloß die Augen.
    Beim Schrei einer Möwe öffnete er sie wieder. Vor ihm, zum Greifen nah, lag die kleine Insel. Er tastete nach dem Beutel an seinem Gürtel. Das war alles, was ihm geblieben war. Er blieb noch eine Weile im Seichten liegen, zu erschöpft, um aufstehen zu können. Dann kroch er ans sandige Ufer.
     
    In seinen Fieberträumen überfielen ihn die Bilder ohne Erbarmen. Trotz Hatasus Protesten hatte man ihn in den Palast der blauen Delphine gebracht. Schweren Herzens war sie ihm gefolgt, um ihn dort weiterzupflegen. Keiner ahnte, was sie damit ausgelöst hatten. Kaum lag er in seinem Zimmer, setzte der Alb auch schon ein.
    Er sieht den schwarzen Berg, die dunkle Wolke aus Vulkanstaub, die aus seinem Krater geschleudert wird. Flammen steigen empor, breiten sich nach beiden Seiten aus. Es regnet Feuer. Asche beginnt zu fallen, immer dichter wie ein Schleier, der alles bedeckt. Felsen zersplittern, Bäume werden entwurzelt.
    Wieder hört er das Schreien und Weinen der Menschen, das im Heulen und Donnern der aufgebrachten Erde untergeht. Es gelingt ihnen nicht, rechtzeitig das Meer zu erreichen, bevor die Schlammflut alles unter sich begräbt. Vor ihnen beginnen die Schiffe wie Fackeln zu brennen …
     
    Er röchelte im Schlaf. Er stöhnte angstvoll auf und warf sich herum, naß vor Schweiß. Er versuchte mit aller Macht, wach zu werden, um die Vision zu vertreiben. Aber die Bilder von Tod und Verwüstung gaben ihn nicht frei und zwangen ihn zu sehen, was er oft im Wachen und Träumen hatte miterleben müssen.
     
    Er ist nicht auf Strongyle, wo giftige Schwefeldämpfe alles ersticken. Er hat die Insel Kreta nicht verlassen. Er steht am Meer und blickt nach Norden. Um sich herum registriert er lauter Schiffe, die meisten von ihnen nicht viel mehr als schwarze verkohlte Gerippe. Nur ein ganzes Stück entfernt, wo auch niedrige Holzgebäude zu erkennen sind, liegen ein paar, die noch unversehrt sind. Das muß der Hafen von Amnyssos sein, wo die flüchtenden Athener ihre Feuerspur zurückgelassen haben.
    Plötzlich ist der wolkenverhangene Himmel grell erleuchtet. Gleißende, schwertartige Strahlen schießen über das Firmament. Zukkende Blitze, Lichtbogen, die das Dunkel durchschneiden.
    Er spürt ein Rauschen in seinem Körper, ein Wogen und Spritzen, ein Fluten, das durch ihn strömt, und versucht, ihn weit hinauszuziehen.
    »Die Flut!« Asterios fuhr von seinem Lager auf. »Sie kommt! Ich sehe sie! Ich kann sie spüren! Wir werden alle ertrinken!«
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Hatasu an, die neben seinem Bett eingeschlafen und gleichfalls hochgeschreckt war. Es gab keine Möglichkeit, ihn zu beruhigen. Er weigerte sich, liegen zu bleiben. »Ruf alle zusammen!« sagte er zu Hatasu. Er sah nicht aus, als würde er sich aufhalten lassen. »In der Halle der Doppeläxte – wir brauchen viel Platz. Die Königin, Minos, die Geschwister. Alle! Alle, die du finden kannst. Es

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