Palast der blauen Delphine
erwartungsvoll ansah, mußte er plötzlich an ihre nackten, blutbespritzten Brüste beim Opfer denken. Ein Gefühl von Scham ließ ihn erröten.
»Nun, was hast du mir anzubieten?« Helle Lichter tanzten in ihren grünen Augen.
Asterios räusperte sich. Einmal, zweimal. Sein Herz klopfte bis zum Hals. »Das«, brachte er schließlich hervor und reichte ihr ein bauchiges Gefäß. »Jasminöl aus dem fernen Osten … und das.« In seiner ausgestreckten Linken lag der goldene Ring mit den tanzenden Delphinen.
Die Frau vor ihm erstarrte, als sei sie auf eine Viper getreten. »Wie kommst du zu diesem Ring?« fragte sie tonlos. »Wo hast du ihn gestohlen?«
»Ich habe ihn nicht gestohlen«, erwiderte Asterios. Ihr Gesicht war zu einer undurchdringlichen Maske geworden. Dennoch spürte er ihre starke Erregung. »Man hat ihn nach meiner Geburt bei mir gefunden.«
»Wer bist du? Und woher stammst du?«
»Ich bin nicht Iassos’ Lehrling«, antwortete er mit enger Kehle, »sondern ein Hirte, den du vor wenigen Tagen bei der Zählung gesegnet hast. Mein Name ist Asterios, und ich stamme aus den Weißen Bergen. Ich trage ein Mal an der Hüfte.«
Abrupt wandte sich Pasiphaë um. Er starrte auf ihren schmalen Rücken, der unmerklich bebte.
»Das ist ausgeschlossen«, entgegnete sie erstickt. »Das Kind mit dem Mal an der Hüfte hat nicht geatmet.«
»Merope war es, die mich fortgebracht und aufgezogen hat«, fuhr er leise fort. »Sie hat mich auch zu dir geschickt.« Er hielt inne. »Sie sagt, das Mal habe die Form des heiligen Doppelhorns.«
Sie fuhr zu ihm herum. »Zeig es mir!«
Er löste sein Taillenband und entblößte sich.
»Geboren vor sechzehn Jahren im Sternzeichen des Stiers. In einer stürmischen Frühlingsnacht«, murmelte sie wie zu sich selbst. »Die Frucht der Heiligen Hochzeit, die mich beinahe das Leben gekostet hätte. Und alles, was ich jemals besessen habe. Du kannst dich wieder anziehen – Asterios? Kein Hirte heißt Asterios. Das ist ein Name für den Erwähl… für Personen von Stand.«
»Früher wurde ich Astro genannt.«
Pasiphaë war zu dem kleinen Tisch zurückgegangen, um Zeit zu gewinnen. Er ist es, dachte sie, er lebt, und Merope hat ihn heimlich aufgezogen. Steh mir bei, Große Mutter! Damals habe ich mich von Minos in die Flucht schlagen lassen. Heute muß ich erfahren, daß die Weisen Frauen mich viele Jahre lang um meinen Sohn betrogen haben. Damals war ich verletzt und fügsam, Wachs in ihren Händen. Aber die Zeiten, in denen irgend jemand über mich verfügen konnte, sind endgültig vorbei! Ich habe Minos Rebellion für immer erstickt, und ich allein bestimme, was mit den Kindern geschieht, die ich geboren habe.
»Ich habe dir zu danken, Hirte.« Ihr Lächeln wirkte angestrengt, aber es gelang ihr doch, mit fester Stimme zu sprechen. »Und der Frau, die dich geschickt hat. Dein Dienst soll nicht unbelohnt bleiben. Ab sofort bist du den Hegern meiner Herde zugeteilt. Begib dich sofort nach Phaistos. Dort wird man dich in dein neues Amt einweisen.«
Laß es nicht wahr sein, Große Göttin, dachte er verzweifelt. Kein Wort, kein einziges Zeichen des Erkennens. Sie ist die Frau, die mich geboren hat – und begegnet mir mit kalter Förmlichkeit.
Es war so still im Megaron, daß er sein Herz pochen hörte.
»Du bleibst stumm?« sagte Pasiphaë schließlich. »Du könntest dich zumindest bedanken. Viele werden dich um dein Amt beneiden.«
Ich bin dein Sohn, dachte Asterios verzweifelt. Sprich nicht so mit mir!
»Verzeih«, sagte er und bemühte sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ich war in Gedanken bei meiner Herde. Ich muß die Tiere zurückbringen.«
»Gut«, erwiderte die Königin und sah ihn einen Augenblick durchdringend an. »Erledige, was du noch zu tun hast. Ich erwarte dich zum nächsten Vollmond im Palast.« Sie ging einige Schritte zum Fenster und sah hinaus. Dann wandte sie sich wieder ihm zu. Sie war nicht mehr so blaß wie zuvor, und er meinte, in ihren Augen ein Glitzern zu entdecken. »Ja«, bekräftigte sie, »komm nach Phaistos am Tag nach Vollmond, wenn die Sonne mittags den Zenit erreicht hat. Dort wirst du Näheres erfahren.«
»Aber bis dahin sind es noch zehn Tage«, begann Asterios zögernd.
»Sei rechtzeitig zur Stelle«, befahl sie. »Und jetzt laß mich bitte allein! Iassos soll seine Überraschung einer Dienerin geben. Mir ist gerade nicht nach Rosenwasser zumute.«
Verwirrt suchte Asterios den Weg nach draußen. In einem der Vorräume
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