Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
allesâ¹, âºEs braust ein Ruf wie Donnerhallâ¹. »Endlich gibt es Krieg!«, hörte man einige rufen. »Zu den Fahnen, Männer!«
âºExtrablatt, Extrablatt! Ãsterreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg.â¹
âºExtrablatt, Extrablatt! Mobilmachung. Deutschland erklärt Russland den Krieg.â¹
Unsere Feldgrauen
Theo ging die Post durch. Er hielt den Marschbefehl in der Hand. Carla erkannte es an der Farbe des Briefpapiers. Sie erblasste, umklammerte Theo.
»Theo, versteck dich.«
»Das geht nicht. Man wird mich suchen. Und wenn sie mich finden, stellen sie mich vor ein Kriegsgericht. Und dann werden sie mich erschieÃen. AuÃerdem wäre es erbärmlich, sich zu drücken.«
Tief in seinem Inneren spürte er Abenteuerlust, ein Vibrieren, in die Welt zu ziehen. Sehnsucht nach dem Wanderleben, das er geführt hatte, stieg in ihm auf. Noch einmal für ein paar Wochen in die Welt zu ziehen, wie früher mit dem Wagen, heraus aus der Stadt, aus der Puppenstubenwohnung, heraus aus dem immer gleichen Saal, in dem er Tag für Tag arbeitete.
»Theo, ich habe schreckliche Angst.«
»Mir wird schon nichts passieren. Warte auf mich. Hab keine Angst. Ich komme zurück. Bis dahin bist du die Chefin. Guste und Hans helfen dir. Hans ist drei Jahre älter als ich. Wer weiÃ, ob er überhaupt noch eingezogen wird. Max bleibt soundso wegen seines Alters und seines Beines.«
Theo roch an ihrem Haar, sog seinen blumigen Duft ein. Er küsste ihr Ohr, streichelte sie.
»Lass uns heiraten, Carla«, sagte er plötzlich, »noch bevor ich gehen muss.«
Carla brachte keinen Laut heraus. Die Wanduhr tickte wie ein Zeitzünder. Theo löste sich von ihr.
»Sag was, Carla.«
Carla schluckte. Ihre Lippen waren wie verklebt.
»Theo, ich ⦠nicht jetzt, bitte ⦠keine Kriegsheirat.«
Eine beklommene Traurigkeit erfasste Theo.
»Liebst du mich nicht mehr? Bin ich dir nicht mehr gut genug? Willst du mich nicht heiraten? Dann sei ehrlich und sag es.«
»Ich liebe dich mehr als mein Leben, Theo.«
Sie schluchzte auf.
»Was ist denn mit dir, Carla? Ich möchte es wissen. Ich liebe dich.«
»Wir heiraten, wenn du wiederkommst. Ich verspreche es dir. Wenn Frieden ist, Theo. Im Frieden! Wir heiraten, wenn alles vorüber ist, ja?«
Ihre Stimme klang so dumpf und fern, als würde sie durch eine Membran sprechen. Theo starrte sie an. Sie wich seinem Blick aus. Sag mir, wer du bist. Sag es mir, schrien seine Augen. Nie würde sie es über ihre Lippen bringen. Und dennoch ahnte sie, dass es ihr nichts nützte zu schweigen.
»Warum hast du Geheimnisse vor mir? Vertraust du mir denn nicht? Warum darf ich nichts über dich wissen?«
Sie klammerte sich an ihn.
»Bitte, Theo, quäle mich nicht. Frag nichts mehr. Ich kann nicht â¦Â«
»Ich ziehe in den Krieg und soll nichts fragen, und du willst mich nicht heiraten. Ich begreife das nicht. Oh doch, ich begreife. Du willst nicht. Du willst also nicht.«
Carla versuchte zu sprechen. Aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Kein Mensch konnte ihr helfen. Sie fühlte sich ohnmächtig. Sie schwamm in einer Wehrlosigkeit, die sie ertränkte.
»Theo, ich â¦Â« Sie weinte. »Nach dem Krieg, nach dem Krieg. Ich bitte dich!«
Theo konnte ihre Not nicht länger ertragen.
»Ist ja gut, weine nicht.«
Er küsste sie auf die Lippen.
»Dann heiraten wir eben, wenn der Krieg vorbei ist.«
»Komm wieder, Theo. Du wirst nicht sterben, versprich es mir. Ich will dich nicht verlieren. Nie!«
Der Tag war heià und stickig. Theo ergriff seinen Tornister. Carla hielt ihn zurück, presste sich an ihn.
»Um Gottes willen, pass auf dich auf.«
»Ich bin bald wieder da.«
Düstere Gedanken tobten in Carlas Kopf. Wie alle Menschen hoffte sie auf ein schnelles Ende des Krieges, doch sie glaubte nicht daran. Genauso wenig wie an einen deutschen Sieg. Sie wusste nicht, warum. Es war ein Gefühl, eine innere Empfindung, die ihr Angst machte und sich nicht verdrängen lieÃ.
»Geh nicht!«, rief sie plötzlich.
Er küsste sie.
»Es muss sein, Carla!«
Carla begleitete Theo, der in dem langen Zug von jungen Männern, die in feldgrauen Uniformen steckten, Richtung Verladebahnhof marschierte. Die Köpfe der Soldaten waren bedeckt mit tief in die Stirn gezogenen Mützen, die
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