Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Wutausbrüchen, die mit Flügelschlagen der Arme und Verdrehungen des Rumpfes einhergehen.«
Dr. Weià trat an Theo heran. Der groÃe, birnenförmige Glatzkopf des Arztes schaukelte auf seinem dürren Hals, seine Augen quollen hervor.
»Sehen Sie mich an!«, befahl er und leuchtete mit einem Lämpchen in Theos Augen. Es blendete ihn. Theo riss den Kopf zur Seite. Der Arzt ergriff sein Kinn und drehte den Kopf zurück.
»Tun Sie, was ich gesagt habe!«
Sie setzten ihn auf einen Metallstuhl. Der Arzt maà seinen Kopfumfang, klopfte ihm mit Hämmerchen auf die Knie, kitzelte ihn an den FuÃsohlen, strich mit einem Pinsel um seinen Nabel. Dann wurde er mit Nadeln gestochen. Theo wehrte sich. Die Wärter packten zu.
»Lassen Sie das, Blum! Sonst kommen Sie gleich wieder in die Jacke.«
Sie sprachen mit ihm, als könne er alles verstehen. Und das war richtig. Aber Theo lieà es sich nicht anmerken. Er schwieg.
»Wir werden Sie schon zurechtbiegen«, sagte Dr. WeiÃ. »Bilden Sie sich bloà nichts ein. Sie haben nicht mehr durchgemacht als viele Ihrer nicht erkrankten Kameraden, Blum. Die hysterischen Symptome sind willensabhängig. Damit Sie es wissen: Für Drückeberger ist hier kein Platz. Hören Sie, Blum. Keiner von Ihnen hier wird beurlaubt oder gar entlassen, als bis die völlige Heilung eingetreten ist. Ihre Läuse im Gehirn werden wir schon ausrotten.« Weià lachte stählern. Er drehte sich zu den Wärtern. »Bringt ihn zurück in die Zelle. Bis er sich das Herumwüten abgewöhnt hat, bleibt er in Isolation. Und verdunkelt den Raum.«
Theo wurde hinausgerollt. Der Oberarzt wandte sich an die Kollegen.
»Morgen früh beginnen wir mit der Kaufmann´schen Ãberrumpelungsmethode. Wir setzen faradische und galvanische StromstöÃe dort, wo es für Männer am empfindlichsten ist. Zusätzlich Zwangsexerzieren im Hof. Wir sind hier schlieÃlich kein Urlaubsinstitut. Und nun an die Arbeit, meine Herren. Das Haus ist überfüllt mit Soldaten, die an der Front gebraucht werden. Wir werden ihnen das Verrücktspielen schon austreiben.«
Die dämonische Leinwand
Theo horchte. Die Anstalt war gefüllt mit verrückten Soldaten. Sie schienen aus jedem Winkel zu brüllen und zu winseln. Sie hatten die graue Uniform gegen die grüne Anstaltskluft getauscht. Einer entkam lebendig dem Massengrab, ein anderer hatte sich erhängt und war rechtzeitig abgeschnitten worden, dem nächsten war der Kopf seines Kameraden zwischen die Beine gerollt. Sie zitterten, brüllten oder sie waren taubstumm und gelähmt. Viele Männer schrien hier den ganzen Tag lang. Sie glaubten, sie lägen noch im Graben. Sie schossen und schanzten und schaufelten. Sie warfen Handgranaten und wischten sich die Fleischfetzen der Getöteten von der Jacke. Verrückte Kopfkrüppel waren sie. Doch er, Theo Blum, war nicht verrückt. Er war nur in den Irrsinn geflohen. Er war aus dem Irrsinn in den Irrsinn geflohen. Es war zum Lachen, er kämpfte um sein Leben und war ja schon längst gestorben. Das war zum Totlachen. Wenn er nicht schon tot wäre, könnte er sich totlachen.
Sorge dich nicht, sagte Theo zu sich, ich bin ganz bei Sinnen. Dennoch steckten in seinem Hirn Granatsplitter. Sie lieÃen sich nicht herausoperieren. Manche waren von einer Membran umhüllt. Andere hatten die Eigenart zu wandern. Wenn die Splitter wanderten, schrien die Bilder. Er stöhnte, starrte in die Düsternis. Bilder, Bilder. Sie krochen aus der Wand heraus. Sie begannen zu springen, flogen durch das Zimmer, als hätte ein Wirbelwind sie erfasst. Zuweilen zerbröckelten sie. Einige zersplitterten wie Granaten. Viele blieben festgenagelt an der weiÃen Wand. Fort, fort mit euch, ich will euch nicht sehen. Weg, weg. Sie wollten sich nicht vertreiben lassen. Sie brauten sich ungeordnet in seinem Kopf zusammen, wechselten die Reihenfolge, überlagerten sich. Manche Bilder begannen zu springen, flogen als lebende Schatten umher. Sie zuckten auf in grellem Licht und tiefen Schatten, ein flirrendes Gewirr von lebenden Fotografien, von denen einige in die Leere stürzten, als wäre er selbst eine Illusion, auf einem Stück Stoff abgebildet, als wäre sein Leben nichts als eine Ansammlung von vorbeihuschenden Bildern, die vor sich selbst flohen, Schattenfluten, schwarz-weiÃe Gespenster, die an ihm vorüberrasten,
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