Palast der sinnlichen Traeume
durch ihre geschlossenen Lider und fiel auf Khaleds Daumen. Überrascht zuckte er zurück.
„Du weinst ja.“
„Nein.“ Wieder schüttelte sie den Kopf und lachte verlegen, weil weitere Tränen ihr über die Wangen liefen.
„Warum?“ Er wirkte so völlig verwirrt, dass sie nun tatsächlich lachen musste.
„Weil … Ich weiß es nicht.“ Sie atmete tief ein. Irgendwie musste sie ihre Fassung wiedergewinnen.
„Ich wollte dich nicht traurig machen“, erklärte er reumütig.
Ein letztes Mal blitzte ein Sonnenstrahl auf, dann versank der glühende Ball hinter den Bergen. Sanft senkte die Nacht sich über sie.
„Ich bin nicht traurig“, erklärte sie bestimmt. „Vielleicht emotional ein bisschen aufgewühlt. In letzter Zeit ist so viel geschehen. Die Zukunft kommt mir immer unsicherer vor.“
„Das muss sie nicht.“
Sie schüttelte den Kopf, dieses Thema wollte sie jetzt nicht vertiefen. „Ich habe es schon früher zugegeben“, gestand sie. „Wenn es um dich geht, bin ich hilflos. Ich fühle mich zu dir hingezogen wie eine Motte zum Licht. Und darauf bin ich nicht gerade stolz.“
„Bei dir klingt es, als sei das eine Schwäche.“
„Ist es auch.“
Khaled schwieg einen Moment. „Würdest du es anders sehen, wenn ich nicht gegangen wäre?“
„Wie meinst du das?“
Er zuckte die Schultern. „Du hast mich, dich, unsere Beziehung anhand dessen definiert.“
„Natürlich habe ich das“, fuhr sie auf. „Wie hätte ich sie anders beurteilen können?“
„Manchmal“, sagte Khaled leise, „wünschte ich, ich wäre geblieben.“
Seine Worte machten sie ganz schwindelig. „Wirklich?“
„Ich habe dir gesagt, ich möchte einige deiner Vorurteile korrigieren“, erwiderte er mit einem zaghaften Lächeln. „Und anfangen will ich damit, dir zu erklären, warum ich England verlassen, nie wieder Rugby gespielt und mich mit keinem Wort von dir verabschiedet habe.“
Lucys Fingernägel gruben sich schmerzhaft in ihre Handflächen. Ihr Herz pochte wie wild. „Erzähl es mir.“
Khaled vermied es, sie anzublicken. „Du weißt, dass mir mein Knie schon immer Probleme bereitet hat.“ Lucy sagte nichts. Natürlich wusste sie darüber Bescheid. Schließlich hatte sie es oft genug gekühlt oder die Muskeln mit Massagen geschmeidig gemacht. Eine Röntgenuntersuchung hatte keine Auffälligkeiten gezeigt. „Ich habe immer angenommen, wiederkehrende Zerrungen seien daran schuld. Das zu glauben war am einfachsten …“
„Das entspricht unserer Diagnose“, unterbrach Lucy ihn. Plötzlich verspürte sie heftige Schuldgefühle. Wenn die Diagnose falsch war, wenn das Ärzteteam einen Fehler gemacht hatte …
Kurz berührte er ihre Hand. „Es ist nicht deine Schuld.“
„Ich habe den Ärzten nicht alle Symptome genannt. Ich selbst habe sie ignoriert.“ Er seufzte. „Schlussendlich war es jene letzte Verletzung, die zur richtigen Diagnose führte. Nicht meine Bänder waren gerissen, sondern einige Splitter hatten sich aus der Kniescheibe gelöst.“
„Osteochondrosis dissecans“ , murmelte sie. „Knochennekrose.“ Der Prozess musste nach dem Röntgen begonnen haben, sonst hätten sie ihn bemerkt. „Aber es gibt Therapien …“
„Ich wurde operiert“, unterbrach Khaled sie. „Damals hat man festgestellt, dass die Ablösung zu weit fortgeschritten ist.“
„Daher auch das immer wiederkehrende Aufflackern der heftigen Schmerzen“, sagte sie und fügte für sich hinzu: und das Ende deiner Rugbykarriere.
„Ja.“ Khaled verfiel in Schweigen.
Lucy spürte Verärgerung in sich aufsteigen. Er tat so, als habe er ihr alles erklärt. Dabei hatte sie das Gefühl, das Entscheidende noch immer nicht zu wissen.
„Ich verstehe nicht, warum diese Diagnose dich zu deiner Flucht getrieben hat.“
„Der Arzt sagte, der Prozess würde rasch voranschreiten. Er hat mir ein oder zwei Jahre gegeben, was meine Beweglichkeit angeht.“
„Aber du kannst doch noch gehen!“
„Ja, noch.“ Er schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln. „Es ist nur eine Frage der Zeit. Und natürlich musst du das wissen, bevor du … mich heiratest. Irgendwann werde ich nicht mehr laufen können.“
„Irgendwann“, wiederholte sie. „Hast du seit damals eine weitere Röntgenuntersuchung vornehmen lassen?“
„Ja. Der Verfall schreitet doch nicht so schnell voran, wie von den Ärzten befürchtet. Aber an der Krankheit selber ändert das nichts.“
Lucy dachte über seine Worte nach und versuchte, einen Sinn in
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