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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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Vandalismus – offensichtlich Banditen. Die wenigen einheimischen Polizisten, die Roxane sah, waren entweder hilflos oder beteiligten sich selbst an den Aktionen. Ein Infanteriesoldat in scharlachroter und weißer Uniform hielt ein Schwert über seinem Kopf. An der schimmernden Spitze steckte eine am Bauch durchbohrte Puppe. Es war eine englische Puppe. Ihr Kopf aus Porzellan schlug immer wieder gegen die Klinge, sodass winzige Keramikteilchen mit blonden Haaren daran um den Kopf des Soldaten flogen. Die Kleidung war heruntergerissen worden. Nur ein Fetzen von der Schürze und ein einzelner schwarzer Schuh waren übrig geblieben.
    »Sera«, sagte Roxane, obwohl sie wusste, dass die Puppe nicht ihrer Schwester gehörte. Eine immer größer werdende Furcht hatte sie dazu gebracht, den Namen auszusprechen. Im Augenblick konnte sie sich kaum vorstellen, dass das Mädchen es unversehrt geschafft haben könnte, durch die Stadt zum Palast und zu Ahmed zu gelangen. Wahrscheinlich hatte sie dorthin gehen wollen, vielleicht um Trost zu suchen oder um in Ahmed einen Mitverschwörer für neue Pläne zu finden. Sera mochte Bahadur Shahs Großneffen sehr gern.
    Als sie ein raues Flüstern an ihrem Ohr hörte, drehte sich Roxane rasch um und sah im Schatten einer Markise das gequälte und verängstigte Gesicht eines eurasischen Ladenbesitzers. Sie kannte ihn, da sie schon bei ihm eingekauft hatte, allerdings wusste sie nicht, wie er hieß.
    »Hier entlang!«, zischte der Mann und winkte hektisch. »Sie werden Sie töten, wenn sie Sie sehen.«
    Roxane zögerte kurz und schlüpfte dann durch eine Seitentür in das weiße schmutzverschmierte Gebäude hinter dem Ladenbesitzer. Drinnen drückte sich seine Familie – seine Frau, zwei Kinder und eine ältere Frau, die ihm so sehr ähnelte, dass sie seine Mutter sein musste – angstvoll gegen die Wand. Alle hatte die Augen weit aufgerissen und starrten sie schweigend an. Selbst die Kinder blieben stumm, als Roxane den Laden betrat.
    »Wir verlassen die Stadt auf einem anderen Weg. Sie täten gut daran, mit uns zu kommen.«
    Roxane schüttelte den Kopf. »Ich … ich kann nicht. Erinnern Sie sich an das kleine Mädchen, das oft bei mir war?«, fragte sie und deutete Seras Größe an, indem sie ihre ausgestreckte Hand neben ihre Taille hielt. »Ihr Name ist Sera.«
    Der Ladenbesitzer runzelte die Stirn und nickte dann. »Sie hatte einen kleinen Hund bei sich, als wir sie getroffen haben.«
    »Ja!«, rief Roxane. »Haben Sie sie heute gesehen?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe das Kind nicht mehr gesehen, seit Sie mit ihr zum letzten Mal bei mir eingekauft haben. Warum? Ist sie weggelaufen? Das ist ein schlechter Zeitpunkt dafür, ein sehr schlechter Zeitpunkt.«
    Roxane schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Draußen wurde der Lärm der Randalierer immer lauter. Merkwürdig, dass sie in den Quartieren nichts davon wissen, dachte Roxane. Jemand muss es ihnen sagen.
    »Ich glaube, dass sie zum Palast gegangen ist«, sagte Roxane.
    »Nein!«, riefen der Ladenbesitzer und seine Frau wie aus einem Mund.
    »Der Palast ist das Zentrum von allem! Heute in der Morgendämmerung sind die Meuterer von Meerut in die Stadt geritten. Es waren zweitausend Mann, und sie haben den König um seinen Segen gebeten. Er hat zugestimmt und jedem der zweihundert Männer, die bei ihm vorgesprochen haben, feierlich die Hand auf den Kopf gelegt. Die Sepoys haben die Tore verlassen, um gemeinsam mit ihren Brüdern auf den Straßen zu randalieren. Haben Sie nicht bemerkt, dass das Tor unbewacht ist? Captain Douglas, der Befehlshaber der Wachen, ist tot! Vielleicht erinnern Sie sich an ihn? Und Reverend Jennings, seine Tochter und eine ihrer Freundinnen wurden ermordet. Zahllose weitere Europäer sind heute zu Tode gekommen, und es werden noch mehr werden, außer wenn eine größere Truppe, als wir sie hier in Delhi zur Verfügung haben, irgendetwas dagegen unternimmt!«
    Verwirrt und für einen Moment unentschlossen hob Roxane ihre geballten Fäuste an die Brust. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, welchen Weg sie einschlagen sollte. Doch dann ließ sie ihre Hände sinken und rückte ihre Tasche auf ihrer Schulter zurecht.
    »Wenn es Ihnen möglich ist, gehen Sie zu meinem Vater Colonel Sheffield. Er wird für Ihre Sicherheit sorgen. Und sagen Sie ihm, was hier geschehen ist.«
    »Sie kommen nicht mit uns?«, fragte der Ladenbesitzer ungläubig.
    »Ich kann nicht.«
    Roxane verließ das Haus so, wie

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