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Palast der Suende - Roman

Palast der Suende - Roman

Titel: Palast der Suende - Roman
Autoren: Jan Smith
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wir essen gehen, wenn Sie möchten.«
    Claire erhob sich. »Ja, fein. Bis dahin.«
    Sie winkte ihm noch einmal kurz zu, als sie an der Tür war. Draußen auf der Calle Vallaresse konnte sie wieder freier atmen. Stuart MacIntosh. Sie hatte sich wie ein junger Teenager bei ihm gefühlt – unbeholfen und verunsichert. Sie wußte nicht, ob ihr dieses Gefühl behagte.

Drittes Kapitel
    Als Claire wieder in die Nachmittagssonne auf der Calle Vallaresso trat, saß Cherry niedergeschlagen auf einem Poller am Rand eines anderen Kanals und starrte auf eine Mauer am gegenüberliegenden Ufer. Ihre Niedergeschlagenheit hatte nichts mit einer Sorge um Claires Verbleib zu tun, Cherry sorgte sich mehr um sich selbst – sie hatte sich verlaufen.
    Stirnrunzelnd starrte sie auf das bröckelnde Gestein der blaßrosa Mauer. Auf der anderen Seite lag der Hafen, den sie etwa vor einer Stunde entdeckt hatte, aber nachdem sie ein paar Straßen weiter gegangen war, konnte sie den Weg zurück nicht mehr finden, als ob der Eingang zum Hafen auf geheimnisvolle Weise verschwunden wäre.
    Als ob dies noch nicht genug wäre, ging die Sonne bald unter, ihre hochhackigen Sandalen schmerzten, und der Duft einer leckeren Mahlzeit, der aus dem Fenster des schäbigen Hauses hinter ihr herüberwehte, ließ ihren Magen knurren. Weit und breit war niemand zu sehen, den sie nach dem Weg hätte fragen können. Wäre sie doch im Hotel geblieben, nachdem sie vom Mittagsschlaf aufgewacht war! Oder hätte sie wenigstens ihren Führer mitgenommen!
    Sie stand auf und streckte sich. Es mußte einen Weg zurück zum Hafen geben, sie brauchte nur der Mauer zu folgen. Sie machte sich wieder auf den Weg, den sie gekommen war. Sie humpelte über den staubigen Gehweg.

    Als sie die nächste Biegung genommen hatte, faßte sie neuen Mut: Am Rand des Kanals saß ein Mann und ließ die Beine baumeln, die Füße nur knapp über dem Wasser. Das Sonnenlicht bildete einen Heiligenschein um seinen Kopf mit den kurz geschnittenen blonden Haaren, der sich über einen Zeichenblock beugte. Der ganze Körper verriet konzentrierte Anspannung.
    Er blickte nicht hoch, als sie sich näherte, obwohl er ihre Schritte hören mußte. Cherry blieb eine Weile stehen und überlegte, was sie tun sollte.
    »Ahem.«
    Endlich blickte er auf, legte eine Hand über die Augen, um nicht gegen die Sonne schauen zu müssen. Sein Blick war so offen und unergründlich wie der eines Kindes, dachte Cherry. Er starrte sie an, aber er sagte nichts.
    »Ob Sie mir wohl den Weg zum Hafen sagen können?« fragte Cherry.
    »Zum Hafen?«
    Cherry atmete auf, daß er englisch sprach, obwohl er einen kräftigen unbritischen Akzent hatte. »Ja, da wo die Boote liegen und die Löwenstatuen sind.«
    »Sie meinen das Arsenal?« Er schaute sie immer noch an, als wäre sie ein seltenes Insekt, das ihm über den Weg gelaufen war. Sie errötete. Vielleicht versuchte er ja nicht absichtlich, sie zu verwirren, aber es gelang ihm trotzdem.
    »Kann sein.«
    Der Amerikaner wandte sich wieder seinem Zeichenblock zu. Über seine Schultern hinweg konnte Cherry sehen, daß er das Haus gegenüber zeichnete, mit den bröckelnden Steinen und den Leinen voller Wäsche. Selbst aus der Distanz erkannte sie, daß es gut war.

    Er runzelte die Stirn und setzte seinen Bleistift an, um den Schatten unter den Balkonen zu verstärken. Cherry trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, dann schaute er auf, als wäre er überrascht, daß sie noch da war. Er deutete vage in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    »Da, glaube ich.«
    Es dauerte einen Moment, ehe Cherry begriff, daß sie entlassen war. »Ich danke sehr für Ihre Hilfe«, sagte sie übertrieben und stampfte wütend davon, wieder zur Biegung der Straße. Aber bevor sie ihn aus dem Blickfeld verlor, drehte sie sich noch einmal nach ihm um und warf ihm einen zornigen Blick zu.
    Er verpuffte ins Leere, denn er hatte sich längst wieder in seine Zeichnung vertieft und sie vergessen. »Verdammter Ami«, fluchte sie. Es war ungewohnt für sie, derart ignoriert zu werden, und bei einem Mann war ihr das noch nie passiert. Der Kerl hatte sie irritiert.
    Dann mußte sie grinsen. Wäre sie auch so irritiert gewesen, wenn der Mann nicht so verdammt attraktiv gewesen wäre? Sie rief sich sein gebräuntes, gutgeschnittenes Gesicht in Erinnerung, die offenen grauen Augen und den schlanken, muskulösen Körper. Sie hob die Schultern. Wahrscheinlich war er schwul, dachte sie. Die bestaussehenden
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