Palast der Suende - Roman
hatte. Ihr war es egal – nach der unerfreulichen Szene mit Sean war sie entschlossen, ihren Spaß zu haben.
»Möchtest du tanzen?«
Cherry schaute auf die wogende Masse auf der Tanzfläche und grinste. »Warum nicht?«
Sean beobachtete Claire beim Tanzen. Zuerst hatte er sie mit der Maske und in dem roten Samtkleid nicht erkannt, und wenn sie nicht bei Cherry gewesen wäre, hätte er sie vielleicht nie entdeckt. Aber gemeinsam waren die beiden Frauen leicht zu identifizieren. Er mußte sich eingestehen, daß sie beide fabelhaft aussahen. Aber es war Claire, die seine Aufmerksamkeit erregte.
Er fluchte leise vor sich hin. Würde er sie je verstehen können? Sie hatte sich ihm vorige Nacht freimütig hingegeben, und er hatte gespürt, wie seine Liebe zu ihr geradezu überschwenglich gewesen war. Und dann hatte sie es einen Fick genannt. Wieder stieß er einen Fluch aus, lauter diesmal, und die Leute um ihn herum starrten ihn verwundert an.
Er schaute den beiden Frauen weiter zu und wußte, daß er nicht der einzige Mann im Ballsaal war, der das tat. Sie tanzten gut und bewegten ihre schlanken Körper sinnlich im Takt des südamerikanischen Beats. Plötzlich näherte sich ein schlanker Mann dem Tanzpaar, er trug ein scharlachrotes und schwarzes Matadorkostüm und verbeugte sich vor Claire, während ein anderer Mann sich vor Cherry verneigte. Die Frauen lächelten und tanzten mit ihnen.
Sean griff nach einem weiteren Glas vom Tablett eines
Kellners und schüttete den Inhalt rasch in sich hinein. Er hatte Glück gehabt, überhaupt zur Party zu gelangen. Nur seine Maske hatte ihn davor bewahrt, vom Türsteher erkannt zu werden, denn er war einer der beiden Schläger gewesen, die ihn in der kleinen Sackgasse gestellt hatten. Glücklicherweise verdeckte schwarzer Samt sein Gesicht und das lädierte Auge.
Er sah sich nach einem anderen Kellner um und winkte ihn zu sich. Da es ihm gelungen war, zur Party vorzustoßen, wollte er sich jetzt bemühen, so schnell wie möglich betrunken zu werden.
Cherry lachte fröhlich, als ihr Partner sie ein letztes Mal in die Arme nahm, dann blieben sie stehen und fielen ein in den Beifall für die Band. Sie sah, daß sich Claire fest im Griff des Matadors befand, und wandte sich dem Mann neben ihr zu. Die Party war in vollem Gange, und sie mußte schreien, um sich über dem Lachen und Reden verständlich zu machen.
»Ich muß mal eine Pause einlegen«, rief sie zu ihm. »Nur ein wenig die Nase pudern.«
»Signorina, ich bin untröstlich. Ich warte auf Ihre Rückkehr.« Er verbeugte sich und grinste unter seiner Maske.
Gerötet von der Anstrengung des Tanzes bahnte sich Cherry einen Weg durch die Menge in Richtung Toiletten. Als es nicht mehr so gedrängt zuging, bemerkte sie, daß ziemlich viele Paare sich in Türeingängen und hinter Fenstervorhängen aneinander kuschelten. Sie versuchte, nicht hinzuschauen. In der parfümierten Luft des Bades betupfte sie ihr Gesicht mit Wasser, dann zog sie Make-up nach und setzte sich die Maske wieder auf.
Sie öffnete die Tür und trat auf den Flur, als ihr Herz beinahe stehenblieb. Zwei Männer traten ihr entgegen, beide in eleganten Smokinganzügen, beide mit identischen Masken. Sie waren gleich groß, hatten beide blonde Haare und einen gleich lockeren Gang. Sie zögerten kurz, als sie Cherry sahen, aber dann beschleunigten sie ihre Schritte.
Sie widerstand dem Impuls, davonzulaufen, hob den Kopf und tat so, als wollte sie an ihnen vorbeigehen.
»Cherry!«
»Wir müssen mit dir reden!«
Ihre Stimmen klangen tief und drängend. Im nächsten Augenblick hatten sie Cherry eingerahmt.
»Oh?« Sie versuchte, ganz ruhig zu bleiben, und sie war froh, daß die Maske ihr gerötetes Gesicht verbarg.
»Nicht hier.«
»Irgendwo, wo wir unter uns sind.«
»Also, ich weiß nicht, ob ich...«
Aber sie hatten nicht vor, sich von ihr abweisen zu lassen. Einer von ihnen öffnete eine nahe Tür, schaute hinein und zog Cherry hinter sich her. Das Zimmer war nur schwach beleuchtet. Als Cherrys Augen sich daran gewöhnt hatten, sah sie, daß sie sich in einem kleinen Zimmer befanden, dessen Wände mit rotem Samt ausgeschlagen waren. Aber sie hatte nicht viel Zeit, sich die Einrichtung anzusehen, weil die beiden Brüder mit Fragen auf sie einstürmten.
»Warum bist du vor uns davongelaufen?« Die Stimme klang vorwurfsvoll und verletzt. Der andere Bruder schwieg, beobachtete sie, aber ihm war nicht entgangen, daß der andere von »uns«
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