Palazzo der Lüste
vornehme Dame.
*** Es war spät geworden. Aber wie sollte es auch anders sein? Sie hatte sich von Nicolò nicht trennen können. Zum zweiten Mal hatte sie die Erlaubnis erhalten, ihn zu besuchen. Das Ende des Besuches hatte sie immer wieder hinausgezögert. Deshalb war es bereits dunkel, als sie sich in Begleitung eines Dieners mit einer Laterne auf den Weg zurück zur Casa Capelli machte.
Sie hatte sich ihren Umhang fest um die Schultern gezogen und die Kapuze aufgesetzt. Tagsüber war es immer noch warm, aber nach Sonnenuntergang krochen die ersten Vorboten einer herbstlichen Kühle in die Stadt. Nebel waberte über den Kanälen und strich um die Häuser. Was sonst sommerlich heiter wirkte, wurde düster und unheimlich. Es waren kaum Menschen unterwegs, und Cecilia war dankbar für die Anwesenheit des Dieners mit seinem Licht.
Der Weg vom Dogenpalast zur Casa Capelli war nicht weit, aber in Venedig war es unmöglich, gerade Wege zu gehen, man musste sich immer zu seinem Ziel schlängeln.
»Wir müssen hier abbiegen, Signora«, erinnerte sie der Diener, als sie an einer Gasse vorbeigehen wollte. Er hob die Laterne höher, aber es war nichts weiter zu sehen, als Nebel und grauer Stein. Der Lichtschein drang kaum zwei Meter weit in die Gasse hinein.
Cecilia zuckte die Schultern und folgte ihm. Er war in Venedig geboren und kannte sich besser aus als sie. Die Gasse war gerade so breit, dass beide nebeneinander gehen konnten.
Kaum hatte sie den schmalen Durchgang betreten, als sich von hinten eine Hand um ihren Oberkörper schlang und sich eine andere, nach Zwiebeln stinkende Hand, auf ihren Mund presste.
»Kein Wort«, raunte ein Mann neben ihrem Ohr.
Cecilia trat um sich und versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien. Sie wurde über das Pflaster gezerrt. Neben ihr schwankte die Laterne. Den Kopf konnte sie nicht drehen, sah aber aus dem Augenwinkel, wie der Diener von einer schwarz gekleideten Gestalt mit einem Messer bedroht und in einen Hauseingang gedrängt wurde.
Ihr Peiniger zog sie um die Hausecke und stieß sie eine Treppe hinunter. Wenn sich unten ein Kanal befinden würde, in den er sie stoßen wollte, würde sie ertrinken. Sie konnte zwar schwimmen, aber ob es ihr mit diesen Kleidern gelingen würde … Cecilia wehrte sich mit aller Kraft und versuchte ihren Angreifer an die Wand zu drücken. Sie biss in die Hand, die über ihrem Mund lag. Der Griff lockerte sich, und ein unverständlicher Fluch wurde in ihr Ohr gezischt. Gleich darauf verschwand die Hand, aber noch bevor sie schreien konnte, drückte ihr Peiniger eine Messerklinge an ihren Hals. Das Blut gefror ihr in den Adern.
»Ganz ruhig, junge Dame, dann passiert Ihnen nichts. Unten liegt ein Boot. Sie werden mich begleiten.« Sein Atem roch so durchdringend nach Zwiebeln wie seine Hände.
»Wie Lucrezia Trebiso?«, presste sie mit zitternder Stimme hervor.
Die Antwort war ein dreckiges Lachen. Daran erkannte sie die Wahrheit – dieser Mann hatte Lucrezia entführt.
Er lachte immer weiter und lockerte seinen Griff. »Wir verstehen uns, Täubchen.«
Die Klinge drückte nicht länger in die Haut ihres Halses. Cecilia spannte die Muskeln an. Das war ihre Chance. Sie stieß mit einem Ellenbogen nach hinten und duckte sich im selben Moment von dem Mann weg.
Der stieß pfeifend die Luft aus. Der Angriff hatte ihn überrascht. Cecilia konnte sich aus seinem Griff befreien. Sie wirbelte herum, und in derselben Bewegung trat sie ihm zwischen die Beine. Mit einem Aufschrei sackte er zusammen. Das Messer entfiel seiner Rechten und rutschte klappernd über die Stufen.
Cecilias auf der Polizeischule antrainierten Reflexe übernahmen die Regie. Sie griff nach dem Messer. Es war ein richtiger Dolch, die Klinge bestimmt dreißig Zentimeter lang und überraschend schwer.
»Steh auf! Los!«, befahl sie dem Angreifer. Ihre Stimme klang hoch und schrill. Sie drückte dem Mann die Klinge gegen den Hals.
Die Hände auf seinen Unterleib gepresst, schob er sich an der Hauswand hoch. Sein Atem ging stoßweise, und es gelang ihm nicht, sich vollständig aufzurichten.
Wegen der Dunkelheit und des Nebels war sein Gesicht nicht zu erkennen, aber sie glaubte den sauren Geruch seiner Angst zu riechen.
»Los, die Treppe hoch und zurück!« Auffordernd piekte sie ihn mit der Dolchspitzte in den Oberarm.
Humpelnd und sich an der Wand abstützend setzte er sich in Bewegung. Langsam erklomm er die
Weitere Kostenlose Bücher