Paloma
nichts, verglichen damit, was drüben an der Cala des Mortes passiert. Einen sechsstöckigen Kasten klotzen die da hin. Angeblich wollen sie ein paar hundert Leute da reinstopfen. Es heißt, fast doppelt so viele wie San Lorenzo Einwohner hat. Wer weiß, ob’s stimmt. Im Moment wirft doch jeder nur so mit Zahlen um sich. Alle sind irgendwie verrückt geworden. Du wirst schon sehen.“
„Ein paar hundert Leute? Klingt wirklich verrückt.“
„Eben. Und angeblich ist die Playa Morena als nächstes dran.“
Philipp holte seine Zigaretten heraus und bot auch Desiree eine an.
„Wenn das stimmt, ist die Insel wohl wirklich wachgeküsst worden.“
„Kann man wohl sagen. Fahr mal rüber zur Playa Illetes. Das Hotel dort ist bereits in Betrieb.“
„Das hat wohl so kommen müssen eines Tages. Drüben auf dem Festland hat sich auch einiges getan. Praktisch die ganze Küstenlinie entlang. Tja, wir werden uns wohl damit abfinden müssen, dass die Insel uns nicht mehr alleine gehört. Der Süden ist eben für alle da, nicht nur für dich und für mich ... Und andererseits, verschafft der Tourismus der Insel nicht auch eine Menge Arbeitsplätze? Was doch gar nicht so schlecht wäre.“
Desiree schwieg und blickte nachdenklich auf das Feld vor ihrem Haus. Plötzlich sprang sie jedoch auf und ging auf der Veranda auf und ab und obwohl sie nur Stoffschuhe trug, war zu hören, wie hart sie ihre Füße aufsetzte.
„Ich find es ja auch so beschissen wie du, wenn sie wie auf dem Festland die Küste zubetonieren“, sagte Philipp, da Desiree weiterhin schwieg. „Aber was lässt sich dagegen machen?“
„Nichts. Ich weiß“, antwortete Desiree. Wobei sie weiterhin auf und ab marschierte. „Aber verschon mich bloß mit diesem schwachsinnigen Argument von wegen Arbeitsplätzen. Was für Arbeitsplätze denn? Findest du es gut, wenn sie unsere Bauern oder die Fischer, alles freie, selbständige Leute, allesamt zu Kellnern und Küchenpersonal degradieren? Und glaubst du im ernst, dadurch käme für die Leute anständig Geld nach Magali?“
Philipp schwieg geradezu betroffen. Er hatte Desiree noch nie derart verbissen reden gehört. Wo war ihr Optimismus geblieben, mit dem sie sonst all ihre kleinen und großen Katastrophen gemeistert hatte?
„Philipp, den großen Reibach machen doch höchstens ausländische Konzerne, Spekulanten und so, die hier reinklotzen und Magali versauen.“
Sicher. Im Stillen musste Philipp Desiree Recht geben. Andererseits ... er musste daran denken, dass viele der einheimischen Männer die Insel verließen und zur Marine gingen oder aufs Festland oder noch weiter weg. Weg von ihren Familien, ihrer Heimat, weil sie hier keine Arbeit fanden.
„Die Landschaft hier ist einmalig“, fuhr Desiree fort. „Und damit lassen sich natürlich Touristen anlocken. Aber was wird, wenn diese Landschaft erst durch Beton und Müll und Menschenmassen versaut ist?“
„Du siehst das vielleicht zu schwarz, Desiree.“
„Vielleicht ...“
„Genau genommen dürften wir dann auch nicht hier sein. Überleg doch mal. Du hast hier ein Haus und ich hab vor, mir eins zu bauen. Eigentlich vollkommen verrückt, weil ich in den nächsten Jahren doch höchstens in den Ferien hier sein kann.“
„Das ist was anderes.“
„Wieso?“
„Vielleicht weil wir die Insel lieben. Weil sie uns mehr ist, als eine Möglichkeit, Geld zu machen. Weil wir uns dem Leben hier anpassen und nicht umgekehrt die Insel uns anpassen wollen. All das eben. Verstehst du?“
„Du hast Angst, stimmt’s? Ich seh es dir an.“
„Claro hab ich Angst. Und ich bin nicht die Einzige. Es gibt auch noch andere, die so denken wie ich.“
Philipp spürte, wie ihre Stimmung allmählich auf ihn überging. Und das an seinem ersten Abend auf der Insel! Er wechselte deshalb das Thema, indem er Desiree das Geschenk gab, das er ihr mitgebracht hatte.
Desiree packte den Aquarellkasten aus und bedankte sich, indem sie sich hinunter zu Philipp beugte und ihn auf die Wange küsste. „Du bekommst auch meine allererste Aquarellzeichnung. Versprochen.“
„Aber ich brauche auch Wände, damit ich überhaupt Bilder aufhängen kann.“
Sie redeten dann eine Weile über das Haus, das er bauen wollte. Das aus Natursteinen sein sollte, so wie man schon seit ewigen Zeiten auf Magali baute.
Als Philipp jedoch darauf zu sprechen kam, dass es ihm zwar in den Fingern juckte und er selbst mit anpacken wollte, dass er aber ein paar Leute brauchte, weil er nicht viel
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