Pamuk, Orhan
gefunden.«
»Stimmt das?«
»Sag's nur.«
Ich schimpfte den immer noch
jammernden Tataren aus und brachte ihn zum Schweigen. »Vergiß nicht, was ich
für dich getan habe«, sagte ich zu ihm und wußte dabei genau, daß ich die Sache
nur deshalb in die Länge zog, um von hier aus nicht weitergehen zu müssen.
Warum hatte ich meine Nase in diese
Angelegenheiten gesteckt? Beim Edirne-Tor war vor zwei Jahren eine Hausiererin
umgebracht worden, nachdem man ihr die Ohren abgeschnitten hatte, als ein Mädchen,
obwohl sie jemandem versprochen war, einen anderen Kerl zum Mann nahm. Und
meine Großmutter sagte, die Türken würden oftmals Menschen ohne jeden Grund
umbringen. Ich dachte sehnsüchtig an die Linsensuppe, die mein lieber Nesim
jetzt daheim aß. Meine Füße wollten zwar in die andere Richtung, aber bei dem
Gedanken, daß Şeküre da drinnen war, ging ich auf das Haus zu. Außerdem
trieb mich die Neugier an.
»Die Hausiererin! Seiden aus China
für Festtagskleider sind angekommen!«
Ich merkte, daß sich der durch die
Fensterläden sickernde rötlich-gelbe Schein bewegte. Die Tür ging auf. Hasans
höflicher Vater ließ mich eintreten. Es herrschte Wärme drinnen, wie in reichen
Häusern. Şeküre, die mit den Kindern zusammen vor einem gedeckten Tisch
saß, stand auf, als sie mich sah.
»Şeküre, dein Mann ist
gekommen«, erklärte ich.
»Welcher?«
»Der neue«, antwortete ich.
»Bewaffnete Männer haben mit ihm das Haus umstellt. Sie sind bereit, mit Hasan
zu kämpfen.«
»Hasan ist nicht zu Hause«, ließ der
höfliche Schwiegervater wissen.
»Wie gut!« meinte ich. »Nimm dies
und lies.« Und hochmütig wie ein Gesandter, der den Befehl des Padischahs
überreicht, gab ich ihm Karas Brief.
Während der höfliche Schwiegervater
die Mitteilung las, sagte Şeküre zu mir: »Komm her, Ester, ich gebe dir
Linsensuppe, damit dir warm wird.«
»Mag ich nicht«, sagte ich zuerst.
Es gefiel mir nicht, daß sie so redete, als sei sie hier zu Hause. Doch als ich
begriff, daß sie mit mir allein sein wollte, nahm ich einen Löffel und ging ihr
nach.
»Sag Kara, daß all dies wegen Şevket
geschehen ist«, flüsterte sie. »Gestern habe ich in Todesangst vor dem Mörder
die ganze Nacht mit Orhan allein gewartet. Er hat die ganze Nacht hindurch
gezittert. Meine Kinder auseinandergerissen! Welche Mutter könnte sich von
ihrem Kind trennen? Als Kara nicht heimkam, wurde mir die Nachricht überbracht,
die Folterer unseres Sultans hätten ihn zum Reden gebracht und er habe
gestanden, am Tod meines Vaters beteiligt gewesen zu sein.«
»War Kara nicht bei dir, als dein
Vater ermordet wurde?«
»Ester«, flehte sie und machte die
schönen schwarzen Augen weit auf, »hilf mir bitte!«
»Sag mir, warum du hierher
zurückgekommen bist, damit ich's verstehe und dir helfen kann.«
»Glaubst du, ich wüßte, warum ich
hierher zurückgekehrt bin?« fragte sie und tat plötzlich, als wolle sie weinen.
»Kaya war grob zu meinem Şevket. Und als Hasan sagte, der wahre Vater
meiner Kinder sei wiedergekommen, habe ich ihm geglaubt.«
Doch ich las in ihren Augen, daß sie
log, und sie begriff auch, daß ich es wußte. »Ich habe mich von Hasan täuschen
lassen!« flüsterte sie, und wie ich spürte, wollte sie mir damit zu verstehen
geben, daß sie Hasan liebte. Doch begriff Şeküre eigentlich, daß sie sich
zunehmend mit Hasan beschäftigte, weil sie mit Kara verheiratet war?
Die Tür ging auf, und Hayriye kam
herein, ein duftendes Brot in der Hand, wie frisch vom Bäcker. Sowie sie mich
sah, konnte ich aus dem verdrossenen Ausdruck auf ihrem Gesicht erkennen, daß Şeküre
mit ihr durch den Tod des Oheims – armes Ding, mußte wohl oder übel geduldet
werden! – ein mißliches Erbe angetreten hatte. Als der Duft des frischen Brotes
ins Zimmer drang und Şeküre sich ihren Kindern zuwandte, wurde mir der
wahre Grund der Dinge klar: Ganz gleich, ob es um den wirklichen Vater oder
Hasan oder Kara ging, was Şeküre vergeblich suchte, war nicht ein Ehemann,
den sie liebte, sondern ein Vater, den diese Kinder mit den ängstlich
aufgerissenen Augen lieben würden und den man nicht finden konnte. Şeküre
war mit den allerbesten Vorsätzen bereit, jeden guten Ehemann zu lieben.
»Du suchst mit dem Herzen nach dem,
was du dir wünschst«, sagte ich ohne nachzudenken. »Obwohl du dich mit dem
Verstand entscheiden mußt.«
»Ich gehe auf der Stelle mit den
Kindern zu Kara zurück«, erklärte sie, »doch ich habe meine
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