Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
Einer hätte Jackon sogar um ein Haar den Schädel eingeschlagen, wenn Liam nicht dazwischengegangen wäre. Sie waren gerannt wie der Teufel und hatten anschließend gelacht, bis sie keine Luft mehr bekamen.
An jenem Tag waren sie Freunde geworden. Sind wir das immer noch? , fragte er sich bang.
Er schlug seine Kapuze zurück. Rost knirschte unter seinen Sohlen. Viele Maschinen hatte man ausgeschlachtet, und ihre Blechverkleidungen lagen herum wie die ausgehöhlten Gehäuse riesiger Insekten.
»Jackon?«, rief er in die Stille hinein.
Eine Gestalt erschien zwischen den Hochöfen.
»Liam.« Jackon lächelte schüchtern. »Du bist gekommen.«
Für einen Moment standen sie schweigend da, und jeder musterte den anderen. Dann umarmten sie einander zögernd.
Wie anders Jackon aussah … Anstelle seiner schlichten Arbeitskleider trug er nun einen feinen Gehrock mit Halbstiefeln und Gamaschen. Seinen Hut hatte er unter den Arm geklemmt, sein widerspenstiges rotes Haar war kurz geschnitten und mit Pomade gescheitelt. Doch nicht nur sein Äußeres hatte sich verändert. Er wirkte selbstbewusster und nicht mehr so unscheinbar, und in seinem Gesicht lag ein Zug, der früher nicht da gewesen war. Ein herrischer Zug, stellte Liam fest. Unwillkürlich musste er an Luciens Worte denken: Das ist nicht mehr der Jackon, den du kennst.
»Bist du allein?«
»Ja«, antwortete Jackon. Die nächsten Worte sprudelten nur so aus ihm heraus: »Bei Tessarion, wo warst du denn die ganze Zeit? Alle haben gedacht, du wärst verbrannt!«
»Ich war im Pandæmonium.«
»Was?«
»Seth hat das getan. Er hat mich durch eine Art Tor gestoßen. Aber ich konnte entkommen. Vivana und Lucien haben mir geholfen.«
»Du machst Witze, oder?«
»Es ist die Wahrheit. Ich schwöre es.«
Jackon biss sich auf die Lippe und blickte ihn verlegen an. »Du brauchst mich nicht anzulügen, Liam. Ich weiß, was los ist.«
»So?«
»Du hast das Buch gestohlen und bist untergetaucht. Ich weiß auch, dass du nicht Liam Hugnall heißt, sondern Liam Satander, und dass du gar nicht aus Torle kommst. Das stimmt doch, oder?«
Liam gab auf. Sollte Jackon glauben, was er wollte. Es machte keinen Unterschied.
Der Rothaarige interpretierte sein Schweigen offenbar als Zustimmung. »Wieso hast du mir das verschwiegen?«
»Es ging nicht anders. Dich einzuweihen wäre zu gefährlich gewesen.«
»Na ja. Macht nichts«, murmelte der Rothaarige. »Ich habe dir ja auch nicht alles gesagt.«
»Das kann man wohl sagen«, meinte Liam. »Ein Traumwanderer, was?«
»Genau.«
»Wie kam es dazu? Ich meine, woher hast du diese … Kräfte?«
»Keine Ahnung. Sie sind einfach da.« Jackon zögerte, bevor er fortfuhr. »Früher war ich ein Schlammtaucher, musst du wissen. Ich habe in den Kanälen gewohnt, in der Grambeuge. Lady Sarka hat mich gefunden und in den Palast geholt. Sie hat mir geholfen, meine Kräfte richtig zu benutzen.«
»Du stehst jetzt in ihren Diensten, habe ich gehört.«
»Ich gehöre zu ihrer Leibwache. Ich wohne jetzt bei Umbra, Corvas und Amander. Ich habe sogar einen eigenen Diener. «
»Das klingt, als würde es dir gefallen.«
»Es ist eine gute Arbeit. Die Herrin sorgt für uns. Und die Leute respektieren mich.«
Ja, Jackon hatte sich verändert. Und nicht zum Guten, ahnte Liam. »Aber es ist falsch, Jackon.«
»Wieso?«
»Na, sieh doch, was sie aus Bradost gemacht hat.«
»Sie ist eine gute Herrscherin«, erklärte Jackon seltsam steif, beinahe so, als gebe er etwas Auswendiggelerntes wieder. »Sie sorgt für Ordnung und Wohlstand.«
Liam konnte nicht glauben, was er da hörte. »Das ist nicht
dein Ernst, oder? Sie wirft jeden ins Gefängnis, der ihr nicht passt. Sie lässt Leute umbringen.«
»Sie hat eben viele Feinde. Wer auf ihrer Seite steht, hat nichts zu befürchten.«
»Und was ist mit meinem Vater? Corvas hat ihn ermordet, nur weil er ein Buch gesucht hat!«
»Das war ein Unfall.«
»Ein Unfall ?« Liam musste sich beherrschen, nicht zu schreien.
Jackon fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. »Umbra hat mir davon erzählt. Corvas wollte deinen Vater nur befragen. Wenn er sich nicht gewehrt hätte, wäre das nicht passiert. «
»Corvas wollte ihn verhaften! Du weißt genau, was sie im Ministerium der Wahrheit mit ihm gemacht hätten.«
Der Rothaarige fingerte nervös an seinem Hut herum. »Ich verstehe ja, dass dich das wütend macht und dass du trauerst und so«, sagte er. »Aber deswegen darfst du nicht denselben
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