Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
Schloss knirschte, schreckte sie auf. Die
Ranken hatten sich so weit gelockert, dass sie sich aufsetzen konnte.
Eine Gestalt kam herein, gekleidet in einen dunkelroten Anzug. Über ihrem Handteller schwebte eine Flamme.
»Ein Mädchen, ein alter Mann und ein abgehalfterter Alb«, sagte Seth. »Ihr seid wirklich ein kurioser Haufen. So etwas sieht man im Pandæmonium nicht alle Tage.«
»Was willst du?«, fragte Lucien barsch.
»Nun, ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so bald wiedersehen, alter Freund. Da gehört es sich, dass man wenigstens guten Tag sagt.«
»Na schön. Das hast du getan. Jetzt kannst du wieder verschwinden. «
Seth ging vor Lucien in die Hocke. Die Flamme schwebte von seiner Hand unter die Decke und erfüllte die Kerkerzelle mit geisterhaftem Licht. Vivana bemerkte, dass der Incubus unverletzt war – die Schusswunden, die Liam ihm zugefügt hatte, waren verschwunden. Offenbar genasen Dämonen viel schneller als Menschen.
»Willst du gar nicht wissen, warum ich hier bin?«, fragte der Halbdämon freundlich.
»Lass mich raten«, erwiderte Lucien. »Nach Aziels Niederlage hast du ihn im Stich gelassen und bist ins Pandæmonium geflohen. Du magst keine Verlierer. Stattdessen hast du dir einen neuen Herrn gesucht. Einen mächtigeren, einen mit besseren Aussichten für die Zukunft. Deswegen musste es schon ein Dämonenfürst wie Nachach sein, nicht wahr?«
Seth lachte leise. »Ausgerechnet du wirfst mir vor, ich hätte Aziel im Stich gelassen? Ich war es nicht, der ihn fast getötet hat.«
»Wenigstens habe ich ihn nicht verraten. Bei mir wusste er immer, woran er ist.«
»Gut. Dann bin ich eben ein Verräter. Das kümmert mich
einen Dreck. Aziels Ära ist vorbei. Die Zukunft gehört uns Dämonen.«
»Was meinst du damit?«
Seth stand auf und blickte spöttisch auf Lucien herab. »Das wirst du schon noch sehen – vorausgesetzt, du lebst lange genug, was bezweifelt werden darf.«
Lucien spannte seine Muskeln an, als wollte er den Incubus anspringen. Doch als er sich in seinen Fesseln bewegte, zogen sich die Ranken augenblicklich fester um seine Arme und Beine.
»Noch nie hat jemand Nachachs Kerker lebendig verlassen«, bemerkte der Halbdämon. »Nicht einmal du schaffst das, Meisterdieb. Also gib es auf und genieße deine letzten Stunden. «
Vivanas Vater hatte die ganze Zeit geschwiegen. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme rau und belegt. »Was hat Nachach mit uns vor?«
»Woher soll ich das wissen? Nachach ist so launisch wie ein Fischweib. Was er eben entschieden hat, ist schon im nächsten Moment nicht mehr von Belang. Vielleicht tötet er dich und den Alb. Vielleicht schenkt er deinen Körper einem seiner Blutsklaven, nachdem er dich gefoltert hat. Sicher ist nur, dass er den Leib deiner Tochter für sich beansprucht. Er scheint sich richtig in sie verliebt zu haben. Kein Wunder, sie ist ja auch ein hübsches Ding.«
Vivana hätte nicht gedacht, dass sie fähig war, so viel Abscheu zu verspüren, wie sie in diesem Moment für Seth empfand. »Liam hätte dich töten sollen, als er die Chance dazu hatte«, flüsterte sie.
»Dein Liam ist ein Narr. Er hat bekommen, was er verdient.« Seth lachte. »Besessen von Nachachs Bruder – ist das nicht eine wundervolle Ironie?«
»Willst du behaupten, du hast das geplant?«, fragte Lucien.
»Nein. Ich wollte, dass er einen langsamen und qualvollen Tod stirbt. Aber was stattdessen geschehen ist, gefällt mir viel besser. Das liebe ich so am Pandæmonium: Es steckt voller Überaschungen.«
Vivana hätte den Incubus am liebsten angesprungen, so heftig war ihr Hass auf ihn. Doch die Ranken reagierten auf die kleinste Bewegung und fesselten sie an den Boden der Kammer, sodass sie nichts tun konnte. Sie fühlte sich hilflos und ohnmächtig, und das machte ihren Zorn schier unerträglich.
»Genug geplaudert«, meinte Seth schließlich. »Oben findet ein Fest statt, das ich nur ungern verpasse. Gehabt euch wohl, Freunde. Wir sehen uns in der Folterkammer.«
Kichernd verließ er die Zelle. Als die Tür ins Schloss fiel, erlosch die Flamme unter der Decke. Finsternis senkte sich herab.
In der Ferne kreischten und johlten die Dämonen zum Klang von Trommeln und Pfeifen.
22
Aziel
M ehr als ein Dutzend Albträume kauerten auf dem Platz und warteten auf Jackons Befehle. Riesenspinnen waren darunter, Ratten so groß wie ein Ochse, Gebilde aus Schatten und Klingen – Ungeheuer und Manifestationen seiner schlimmsten Ängste, eine
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