Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
unter Quarantäne zu stellen erfolgte auf Anweisung der Senatsverwaltung für Inneres, und zwar in Absprache mit den Gesundheitsbehörden und dem Robert-Koch-Institut, von denen die Ausbreitung des Virus als örtlich begrenzte Epidemie eingestuft worden war.
Er wusste von seinen Vorgesetzten, dass es bei den betreffenden Stellen in der Senatsverwaltung Befürchtungen gab, dass sich das Virus weiter in Berlin ausbreiten könnte. Eine verfrühte öffentliche Diskussion darüber barg die Gefahr, dass die Menschen womöglich in Panik gerieten. Man wollte deshalb versuchen, das Virus frühzeitig einzudämmen und so seine weitere Verbreitung zu verhindern.
»Wie gehen die Maßnahmen voran?«, erkundigte sich Sebastian Mahler, der seit zwei Jahren stellvertretender Büroleiter und persönlicher Referent des Regierenden Bürgermeisters von Berlin war. Zuvor war der studierte Politikwissenschaftler mehrere Jahre Bezirksstadtrat in Pankow gewesen.
Stefan König steckte sein Handy zurück in die Tasche, bevor er antwortete: »Alles läuft nach Plan. Sämtliche Ein- und Ausgänge des Gebäudekomplexes sowie alle Zufahrten sind inzwischen abgeriegelt und werden ständig bewacht.«
Mahler nickte, griff in seine Jackentasche und holte ein stilvolles Zigarettenetui aus schwarzem Leder hervor. Er zündete sich eine Zigarette an, nahm einen Zug und lobte anschließend König in einem großkotzigen Ton, während er den Rauch genüsslich ausströmen ließ. »Gute Arbeit. Etwas anderes sind wir von unserer Berliner Polizei aber auch nicht gewohnt, richtig?«
Normalerweise ließ der Polizeibeamte sich nichts anmerken, aber dieses aufgeblasene, herablassende Verhalten einiger Politiker widerte ihn an, und so verriet das Zucken eines Muskels über seiner linken Wange einen Moment lang seinen Ekel.
»Wann werden Sie die Bewohner und die Bevölkerung über die Maßnahmen in Kenntnis setzen?«, wollte König wissen und schaute zum Plattenbau. Dort hatten sich seine Kollegen entlang des Gebäudes in einer Reihe aufgestellt und versuchten, einige aufgebrachte Anwohner zu beruhigen, die in den unteren Stockwerken auf ihren Balkonen standen und lautstark mit ihnen diskutierten.
»Zu gegebener Zeit«, lautete die floskelhafte Antwort. »Vor der Pressekonferenz des Bügermeisters heute Abend dürfen keine Informationen nach draußen dringen. Wir haben uns verstanden, König?«
Als der Angesprochene nickte, warf Mahler die Zigarette auf die Erde und drückte sie mit der Schuhspitze aus. Dann verschwand er.
26
Witter saß auf dem Sofa, so krumm und buckelig wie jemand, der unter Arthrose im fortgeschrittenen Stadium litt und bei dem sich schon die Wirbelsäule verformt hatte. Er starrte auf das schwarze, aufgeschlagene Notizbuch von Kennys Mutter, das in seinem Schoß lag. In den letzten Stunden wirkte er, als sei er um Jahre gealtert. Er rührte auch die dampfende Tasse mit Tee nicht an, die Naomi aus der Küche gebracht und neben ihm auf dem Couchtisch abgestellt hatte.
Bis etwa zur Hälfte war das Buch mit Gedichten vollgeschrieben. Mit einem Füllfederhalter in schwarzer Tinte. Er hatte sie durchgeblättert und nach mehreren leeren Seiten Aufzeichnungen entdeckt, auf die er nun sein Augenmerk richtete.
25. November
Mit Kenny stimmt etwas nicht. Er ist so seltsam ruhig. Als ich ins Wohnzimmer kam, habe ich ihn dabei beobachtet, wie er auf dem Sofa saß und längere Zeit auf den schwarzen Fernsehbildschirm starrte. Was beschäftigt ihn bloß? Ich habe nachgefragt, ob mit ihm etwas nicht stimmt. Ob in der Schule alles in Ordnung ist.
Doch er hat nur gesagt: »Mach dir keine Sorgen, Mama. Mir geht es gut.«
… heute am Abend fielen mir sein glasiger, müder Blick und seine blasse Haut auf. Ich dachte sofort daran, dass er sich vielleicht etwas eingefangen hat. Viele meiner Kollegen sind momentan krank. Ich habe seine Stirn gefühlt, und die war wärmer als sonst. Benno hat dann die Temperatur bei ihm gemessen: 38 Grad. Er hat ihn gefragt, ob er Schmerzen hat.
»Nein, Papa, ich habe keine Schmerzen«, hat Kenny daraufhin geantwortet.
Wir haben ihm einen Tee gekocht und ihn dann ins Bett gebracht. Vorhin habe ich nochmals nach ihm geschaut. Er hat tief und fest geschlummert. Seine Stirn hat sich nicht heißer angefühlt. Jetzt können Benno und ich zumindest ein bisschen beruhigt schlafen gehen.
26. November
Heute Morgen war Kenny nicht in seinem Zimmer, als ich nach ihm geguckt habe. Das Bettlaken war nass … durchgeschwitzt. Ich
Weitere Kostenlose Bücher