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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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verfügten angeblich immer noch über die Technik der alten Zeit. Möglicherweise auch Flugmaschinen.
    Aber fliegen war eine Sache und sich verstecken eine andere. Liya konzentrierte sich jetzt mehr auf die Formen der Felsen und überlegte, wo ein Mensch sich gut verbergen konnte. Bis sie seitlich eine kleine Felsspalte entdeckte, zu klein für einen Menschen, doch mit einem Mal wurde Liya klar, dass es hier oben im hellen Dolomit des Nordgebirges Hunderte solcher Spalten in allen Größen gab. Dunkle Felsspalten, die Schutz boten vor Steinschlag und Unwettern. Ideale Verstecke, meist erst einzusehen, wenn man direkt davorstand. Felsspalten waren wie gemacht für Hinterhalte. Wer in einer Felsspalte saß, musste nicht auf ein schreiendes Mädchen reagieren und es offen angreifen. Wer in einer Felsspalte saß, konnte warten. Aber wer in einer Felsspalte saß, saß auch in der Falle. Und das war ihre Chance.
    Sariel hing zwischen Himmel und Erde und wagte einen Blick in die Tiefe. Fünfzig Meter, schätzte er, hatte er bereits geschafft. Irgendwann in einem Urlaub, erinnerte er sich, hatte er eine Dreißigmeterwand geschafft, mehrfach gesichert und angeseilt, unter Aufsicht eines Guides. Hier war er auf sich allein gestellt. Ein Halteseil gab es nicht. Nicht mal Magnesia oder Kalk für die Hände. Sariel klebte wie eine Fliege an der Wand, dicht an den Fels gepresst. Seine Zehenspitzen standen wackelig auf einem winzigen Vorsprung, der sogar als Seifenablage zu schmal gewesen wäre. Seine aufgeschrammten Fingerspitzen krallten sich in einen kleinen Riss im Stein, der Fels heizte sich auf der Sonnenseite allmählich auf über fünfzig Grad auf, und Sariel fragte sich langsam, wie zum Teufel man auf eine so bescheuerte Idee kommen konnte, hier herumzuklettern. Eine müßige Überlegung, denn er wusste selbst, dass es nun kein Zurück mehr gab. Und er war stolz auf sich. Als Huan hätte er hier keinen einzigen Meter mehr geschafft. Als Sariel jedoch spürte er immer noch Reserven, trotz der gefährlichen Last auf seinem Rücken, und konzentrierte sich nun wieder auf den nächsten Schritt. Er krallte sich mit den Fingerspitzen noch fester in den Fels und hob jetzt den rechten Fuß. Drehte ihn etwas, probierte die beste Position aus und tastete den Fels darüber nach einem neuen Halt ab. Als er ihn gefunden hatte, stemmte er sich ab, zog sich gleichzeitig mit den Händen hinauf, gewann einen halben Meter an Höhe, setzte den Fuß ab und verschnaufte. Dann ging es mit links weiter. Alles nicht so schlimm, solange die Kraft reichte.
    Und die Wand mitspielte.
    Aber diese Wand war tückisch, hatte ihn eine Weile mit bequemen Vorsprüngen und Spalten getäuscht, um ihn dann nach den nächsten fünf Metern einfach im Stich zu lassen. Plötzlich wurde die Wand spiegelglatt. Seine Füße rutschten auf dem Fels herum, bis sie zitterten und Sariel wieder zum letzten sicheren Sims zurückkehrte. Verzweifelt tastete seine rechte Hand nach irgendetwas, was den Hauch eines Halts bot. Sariel musste sich extrem strecken und spreizen, musste sich weit aus dem Fels lehnen, unverantwortlich weit. Das Gewicht der Zeitbombe im Rucksack tat ein Übriges. Sariel hing nun schräg im Fels, ohne jede Möglichkeit, umzukehren. Seine Finger schmerzten, und sein Schwerpunkt verlagerte sich beängstigend weit von den Zehenspitzen weg, die bislang sein Gewicht gehalten hatten. Bald würde er abstürzen wie ein übermütiger Jungvogel aus dem Nest. Sariel versuchte, sich wieder enger an den Fels zu pressen, schloss kurz die Augen und stieß einen verzweifelten, wimmernden Laut aus.
    Als er die Augen wieder öffnete, sah er den Spalt. Es war nur ein Riss, viel zu klein für seine geschwollenen Finger und immer noch zu weit weg. Doch es war ein Felsspalt, der einzige weit und breit. Seine letzte Chance. Sariel konzentrierte sich wieder, sammelte seine Kräfte und versuchte, an nichts anderes zu denken als an diesen Spalt. Vorsichtig stemmte er sich wieder einige Millimeter vom Fels ab und lehnte sich zur Seite. So ruhig und doch so schwungvoll wie möglich streckte er seinen Arm aus, rammte seine Finger in den Riss - und rutschte ab.
    Für einen Moment fühlte er, wie alle Schwere von ihm abfiel und er in die Tiefe sackte. Das Nächste, was er wahrnahm, war der Ruck, als das Gewicht seines Körpers an den Fingerspitzen seiner rechten Hand hing. Instinktiv hatte er sich in die enge Spalte gekrallt. Sariels Körper pendelte von seiner alten Position an der

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