Panik: Thriller (German Edition)
sie daran dachte, wie ihr Dad den Kopf gegen das Bett gerammt hatte, sie mit diesen irren Augen angeglotzt hatte, als wollte er sie für alle Ewigkeit mit seinen viel zu langen Armen umklammern.
Daisy machte einen Schritt vorwärts, dann noch einen, dann ging sie immer entschlossener auf die Treppe zu. Sie war auf der Hälfte angelangt, als sie begriff, was hier geschehen war. Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Sie ließ sich auf allen vieren auf den Stufen nieder.
Der Geruch. Sie kannte diesen Geruch von damals, als ein Taxi vor ihrem Haus eine Katze totgefahren hatte. Da sie keinem der Nachbarn gehörte, hatte ihre Mum sie ins Haus gebracht, in einen Karton gesteckt und in den Schuppen gestellt. Daisy– sie war sieben oder acht gewesen – war ganz früh am Morgen in den Schuppen geschlichen. Sie hatte gehofft, dass die Katze wieder am Leben wäre, aus dem Karton hüpfen, ihre Hand abschlecken und miauen und schnurren würde. Dann könnte sie sie behalten und sich um sie kümmern und dafür sorgen, dass ihr nichts Böses zustieß.
Daisy hatte den Karton geöffnet, und der Gestank war ihr durch die Kehle direkt in den Magen gefahren. Es roch nicht verfault, nicht so, wie wenn man den Müll länger nicht wegbringt. Der Gestank war fast gar nicht wahrzunehmen und doch überall. Selbst mit sieben oder acht Jahren hatte Daisy genau gewusst, was das für ein Geruch war. Der Geruch des Todes, ganz einfach. Der Geruch, den der Tod hinterlässt, wenn er deinem Haus einen Besuch abgestattet hat.
Und dieser Geruch war hier, klebte überall– auf dem Treppenläufer, an den Wänden mit den gerahmten Fotos. Und auf ihrer Haut. Da war er so stark, dass sie zuerst dachte, sie würde so riechen, der Tod wäre ihretwegen gekommen.
War er aber nicht. Er war hier gewesen, jedoch nicht, um Daisy zu holen.
Sie zwang sich die übrigen Stufen hinauf. Gebückt schlich sie zum Schlafzimmer ihrer Eltern hinüber. Die Tür war geschlossen. Ein Blatt Papier war daran befestigt, auf dem Daisy die schlampige Handschrift ihrer Mutter erkannte:
Daisy, du darfst die Tür nicht aufmachen. Ruf die Polizei, mein Schatz. Bitte komm nicht rein.
Unwillkürlich, wie eine Marionette, griff sie nach der Türklinke und drückte sie herunter. Die Tür quietschte, und eine weitere Wolke des Gestanks hüllte sie ein und drang in ihre Nase. Der Geruch war so stark, als stünde ein Dutzend Kartons mit toten Katzen im Zimmer, zwei Dutzend, einhundert.
Oder eine Mum, sagte ihr Verstand.
» Sei ruhig!«, rief sie. Dann flossen die Tränen. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und versuchte die Luft anzuhalten, doch die Schluchzer trieben ihr immer wieder den Gestank in den Mund. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, und es schien, als wäre keine Luft mehr im Raum, nur der Tod.
Auf dem Bett lagen zwei Gestalten, genau wie vorher. Doch diesmal bewegten sie sich nicht. Sie lehnten aneinander am Kopfteil, zwei Schatten, die Daisy an die Fotos erinnerte, die sie in der Schule von den Opfern der Atombomben in Japan gesehen hatte. Umrisse, die sich durch die Hitze der Explosion in den Asphalt eingebrannt hatten. Sie wollte ihnen etwas zurufen, aber sie konnte nicht. Die Stille, die sie statt einer Antwort hören würde, hätte sie nicht ertragen.
Stattdessen ging sie zum Fenster. Vielleicht bewegten sich ihre Eltern ja nicht, weil es so dunkel war. Wenn sie die Sonne und die Wärme hereinließ, würde das den Tod in die Flucht schlagen– und den Gestank dazu.
Sie packte den schweren Samt und zog den rechten Vorhang so ruckartig zurück, dass sie beinahe die Vorhangstange abgerissen hätte. Das Licht, das hereinschien, war nicht golden, sondern braun und stickig. Daisy kämpfte mit dem linken Vorhang, der auf halbem Weg stecken blieb, sodass sie ihn hinter den Spiegel über der Anrichte klemmen musste. Sie starrte in das Glas, sah ihre Eltern schlafend auf dem Bett– sie schlafen nur, das sieht man doch, schau genau hin, dann siehst du, wie sie atmen.
Nein– sie schliefen nicht. Es waren noch nicht mal ihre Eltern. Irgendetwas mit ihren Gesichtern stimmte nicht, als hätten sich die Muskeln unter der Haut in Gelee verwandelt.
Schwere Schluchzer drangen aus ihrer Brust. Daisy krümmte sich zusammen und kämpfte nicht dagegen an, ließ ihren Tränen freien Lauf. Wenn sie sich gleich umdrehte, war es besser, wenn sie sich vorher leer weinte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis die letzte Träne von ihren zitternden Lippen tropfte. Mit
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