Panther
spendete, berieten sie sich schnell noch einmal und stimmten ein zweites Mal ab. Dieses Mal wurde beschlossen, dass der Junge »vorläufig vom Schulbesuch suspendiert« werden solle. Man wolle die Gerichtsverhandlung abwarten und dann erneut über den Verbleib des Jungen entscheiden.
Dr. Dressler hatte nun zwei unangenehme Aufgaben vor sich. Zum einen musste er Millicent Winship, Duanes wohlhabende Großmutter, benachrichtigen, zum anderen musste er Duane Scrod senior, den verrückten Vater des Jungen, informieren. Der Schulleiter warf eine Münze und fuhr daraufhin zum Haus der Scrods.
Als er in die Straße einbog, fiel ihm ein Streifenwagen auf, der an der Ecke parkte und in dem ein Polizist saß. An der nächsten Einmündung stand eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben – vermutlich ein zweiter Beamter in einem Zivilfahrzeug. Sie warteten, um sich Duane Scrod junior zu greifen, falls er versuchen sollte, sich heimlich ins Haus zu schleichen. Allerdings wäre ihre Chance wohl größer, dachte Dr. Dressler, wenn sie etwas unauffälliger wären.
Der Schulleiter hielt neben dem Graffito-Tahoe, der Duanes Vater gehörte. Wie schon beim letzten Besuch tönte klassische Musik aus den Fenstern – dieses Mal nicht Bach, sondern Beethoven. Widerstrebend stieg Dr. Dressler aus, ging mit schweren Schritten die Stufen hinauf und klopfte an die Tür. Die Musik brach ab, und eine heisere Stimme brüllte: »Kommen Sie rein! Na los!«
»Mr. Scrod?«
Vorsichtig betrat Dr. Dressler das Haus. Duane Scrod senior lag auf einer Kunstlederliege vor dem stumm geschalteten Fernseher. Die Basecap saß ihm schief auf dem Kopf, das verblichene Hemd war bis zur Taille aufgeknöpft. Auf der verschlissenen Armlehne der Liege saß der enorme Gelbbrust-Ara.
»Sie kenn ich doch«, nuschelte Duane senior. »Nadine auch.«
»Darf ich mich setzen?«
»Nix da. Sagen Sie, was Sie von mir wollen, und dann verziehen Sie sich wieder. Ich hatte heute schon Besuch, mehr als genug.« Duane senior wandte nicht einmal den Blick von der Mattscheibe. Auch der Vogel schien völlig gebannt.
»Was gucken Sie denn da?«, fragte Dr. Dressler.
»Eine Kochshow. Aus Frankreich.«
Darauf wäre der Schulleiter nun wirklich nicht gekommen. So wie der Mann aussah, hätte man eher erwartet, dass er sich samstagmorgens Schau-Ringen oder vielleicht Schrottautorennen ansah. Aber, ermahnte sich Dr. Dressler, man soll ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen. Immerhin war der Mann ein Liebhaber klassischer Musik.
Duane senior trank einen Schluck Mountain-Dew-Limonade und sagte: »Juniors Mutter lebt in Paris. Wir haben uns gedacht, dass sie vielleicht mal in dieser Fernsehshow auftaucht, an der Stelle, wo’s um den Käse geht. Sie hat nämlich einen Laden, in dem sie Käse verkauft, nichts als Käse! Können Sie sich das vorstellen?«
Dr. Dressler wusste nicht, was er sagen sollte. Er griff in seine Manteltasche und kramte ein paar Zwiebelcracker aus der Schulcafeteria hervor. »Hier, für Nadine.«
Blitzschnell schoss der Vogel durch den Raum und schnappte sich die Leckerei aus Dr. Dresslers Hand, dann flog er zurück zur Liege.
Duane Scrod sah den Ara tadelnd an. »Wie sagt man, Nadine?«
»Danke schön!«, kreischte der Vogel. »Thanks a million! Merci beaucoup!«
Dr. Dressler wollte zur Sache kommen. »Ich würde gerne mit Ihnen über Duane junior sprechen«, begann er. »Nach allem, was vorgefallen ist, müssen wir ihn, fürchte ich, erst einmal vom Schulbesuch suspendieren.«
Endlich wandte Duane senior den Blick vom Bildschirm und sah dem Schulleiter direkt ins Gesicht. »Das sagen Sie mal seiner Oma – ich mach das nicht.«
»Müssen Sie auch nicht, das gehört zu meinen Aufgaben. Haben Sie die Nachrichten gesehen?«
»Ja. Wenigstens haben sie seinen Namen nicht genannt.«
»Die Lage ist ausgesprochen ernst«, sagte Dr. Dressler.
Duane senior gab ihm recht. »Ein Jammer ist es! Zwei Wochen lang hat D.J. die Nase tief in die Bücher gesteckt. Bis auf einmal dieser ganze Quatsch losging.« Er wischte sich ein Stückchen Cracker vom Ärmel und sagte: »Nadine, du frisst wie ein Schwein.«
Der Vogel und er wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der französischen Kochsendung zu. Dr. Dressler stand da, fühlte sich überflüssig und wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Als Schulleiter der Truman School hatte er in so schwierigen Momenten die Pflicht, Eltern etwas Kluges, Hilfreiches zu sagen, aber mit einem Menschen wie
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