Papillon
habe.
»Guten Tag, Muscheh.«
»Sprich mit ihm französisch, nicht Dialekt, er ist ein Freund meines Bruders.«
Der Chinese, eine halbe Portion Mann, prüft mich von Kopf bis Fuß. Mit seiner Inspektion zufrieden, reicht er mir die Hand und lächelt aus einem völlig zahnlosen Mund.
»Tritt ein, setz dich.«
Er ist blitzsauber, dieser Küchenraum, der einzige Raum der Hütte. In einem großen Topf über dem Feuer kocht irgend etwas. Ein einziges Bett steht da, aus Baumzweigen, mindestens einen Meter hoch.
»Hilf mir, einen Winkel herzurichten, wo er diese Nacht schlafen kann.«
»Gern, Quiek-Quiek.«
In einer knappen halben Stunde ist meine Liegestatt fertig. Die beiden Chinesen decken auf, und wir essen eine köstliche Suppe, dann gekochten Reis mit Zwiebelfleisch.
Der Freund von Quiek-Quiek ist jener Kerl, der die Holzkohle verkauft. Er wohnt nicht auf der Insel, und so bleiben wir bei Einbruch der Nacht allein, Quiek-Quiek und ich.
»Ja, ich habe alle Enten vom Lagerchef geklaut, und darum bin ich auf der Flucht.«
Wir sitzen an einem kleinen Feuer einander gegenüber, und unsere beiden Gesichter werden ab und zu von den Flammen erhellt. Wir beobachten uns gegenseitig, und während wir miteinander reden, versucht ein jeder, den anderen kennen und verstehen zu lernen.
Das Gesicht von Quiek-Quiek ist fast gar nicht mehr gelb, es ist durch die Sonne kupferbraun geworden.
Seine stark geschlitzten, schwarzglänzenden Augen blicken einem gerade ins Gesicht, wenn er redet. Er raucht lange Zigarren, die er sich selbst aus schwarzen Tabakblättern gedreht hat.
Ich rauche weiter meine Zigaretten, die ich mir aus Reispapier drehe.
»Ich bin also auf die Flucht gegangen, weil der Besitzer der Enten, der Lagerchef, mich töten wollte. Das ist jetzt drei Monate her. Das Unglück wollte es, daß ich nicht nur den Gelderlös für die Enten, sondern auch den für die Kohle von zwei Meilern im Spiel verloren habe.«
»Wo spielst du denn?«
»Im Busch. Jede Nacht haben die Chinesen aus dem Lager Inini und Freigelassene, die von Cascade kommen, ihr Spiel.«
»Bist du entschlossen, übers Meer zu flüchten?«
»Nichts lieber als das. Ich habe immer, wenn ich meine Holzkohle verkaufe, daran gedacht, ein Boot zu erstehen und einen Kumpel zu finden, der mit so was umgehen kann und bereit ist, mit mir zu fliehen. In drei Wochen werde ich so weit sein, daß wir ein Boot haben und aufs Meer hinaus kommen, da du ja zu segeln verstehst.«
»Ich habe Geld, Quiek-Quiek. Wir brauchen nicht den Verkauf der Kohle abzuwarten, um ein Boot zu haben.«
»Das ist gut. Es gibt eine gute Schaluppe zu kaufen für tausendfünfhundert Franc. Ein Schwarzer, ein Holzfäller, verkauft sie.«
»Gut. Hast du sie gesehen?«
»Ja.«
»Aber ich möchte sie selbst sehen.«
»Morgen werde ich Chocolat aufsuchen, so heißt er bei mir. Erzähl mir von deiner Flucht, Papillon. Ich glaubte immer, daß es unmöglich sei, von der Teufelsinsel zu flüchten. Warum ist mein Bruder Tschang nicht mit dir gekommen?«
Ich erzähle ihm die Flucht, erzähle von der Woge Lisette bis zum Tod des armen Sylvain.
»Ich verstehe, daß Tschang nicht mit dir gehen wollte. Es war wirklich zu gewagt. Du bist ein vom Glück begünstigter Mann, sonst wärst du nicht lebend hier angekommen. Ich bin froh darüber.«
Mehr als drei Stunden haben wir so miteinander geplaudert. Wir sind zeitig schlafen gegangen, denn bei Sonnenaufgang will Quiek-Quiek seinen Chocolat aufsuchen. Nachdem wir einen großen Zweig aufs Feuer gelegt hatten, damit es die ganze Nacht anhält, gingen wir schlafen. Der Rauch schnürt mir die Kehle ab, und ich muß husten. Aber er hat auch einen großen Vorteil: keine einzige Mücke.
Ausgestreckt auf meinem Lager, mit einer guten Decke zugedeckt, wohlig warm, schließe ich die Augen. Ich kann nicht einschlafen. Ich bin zu aufgeregt. Ja, die Flucht entwickelt sich gut. Wenn das Boot etwas taugt, bin ich in spätestens acht Tagen auf dem Meer. Quiek-Quiek ist klein, dürr, aber er muß eine ungewöhnliche Kraft und ebensolchen Widerstandswillen haben. Er ist sicherlich loyal und anständig gegenüber seinen Freunden, aber gewiß äußerst grausam gegenüber seinen Feinden. Es ist schwer, in einem asiatischen Gesicht zu lesen, es drückt nichts aus. Doch seine Augen sprechen für ihn.
Ich schlafe ein und träume von einem sonnenüberstrahlten Meer, wo mein Boot fröhlich die Wellen durchschneidet, der Freiheit entgegen. »Willst du Kaffee oder
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