Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
hierher bringt!“ rief sie endlich aus.
Da erzählte ihr Vincent den ganzen Hergang und wie er zu seiner unvermuteten Rückkehr geführt hatte. Nuuk runzelte die Stirn und blickte ihn aus ihren graubraunen Augen äusserst erstaunt an.
„Das ging aber doch nicht mit rechten Dingen zu, oder?“ fragte sie schliesslich.
„Was wären denn rechte Dinge?“ fragte er zurück.
„Nun, das reicht doch nicht für eine fristlose Kündigung!“ sagte sie empört.
„Vielleicht nicht, aber ich habe den Anschuldigungen nicht widersprochen“, erwiderte er.
„Aber warum denn um Himmels Willen nicht?“
„Ich kann nicht mehr an einer Sache weiterarbeiten, an die ich den Glauben verloren habe. Wie soll ich das? Das ist kein Job wie Müllabfuhr, wo du weisst, es ist Mist, aber es gehört eben dazu. Du musst schon überzeugt sein, dass es sich lohnt. Dass e s jemandem hilft. Sonst wirst du zur Büropuppe und dass kann ich hier auch“, erklärte er, weitere Gründe besser verschweigend.
„Das finde ich wahnsinnig konsequent von dir!“ sagte Nuuk und sie war ehrlich beeindruckt. Im selben Augenblick fragte sie sich, ob sie diese innere Freiheit ebenso aufgebracht hätte, wenn sie nicht vollends von ihrer Arbeit mehr überzeugt wäre. Sie dachte etwas nach und blickte in ihren beigefarbenen Milchkaffee.
„Jedenfalls“, fuhr Vincent weiter, „hatte nicht nur ich mit Transmar zu tun, sondern auch Consuelo. Die Firma ist ziemlich suspekt. Sie sponsern anscheinend eine Sekte in Paraguay.“
„Eine Sekte?“ fragte Nuuk und mit einem suchenden Blick auf Consuelo sagte sie: „Ach ja, du hast so etwas erwähnt.“
Consuelo blickte Vincent fragend an und er erklärte ihr in Spanisch, dass Nuuk Waren von Transmar bezöge.
„Was denn für Waren?“, fragte Consuelo in Spanisch und Vincent erzählte ihr von den Biokraftstoffen, an deren Erzeugung Nuuk arbeite.
Consuelo hörte ihm zu und fragte schliesslich: „Sie kaufen nur Soja und so?“
„Was ist das denn für eine Sekte?“ fragte Nuuk fast gleichzeitig und Vincent blickte von der einen zur anderen und erklärte dann Nuuk, die Sekte sei ziemlich schlimm und Consuelo sei von dort geflüchtet, habe aber keinen Zufluchtsort, weil ihre Familie in die Gemeinde der Flammenden Herzen involviert sei.
„Gemeinde der Flammenden Herzen?“ widerholte Nuuk erstaunt. „Das könnte glatt von Kloster Heiligenblutsee sein. Ist die Sekte in der Art?“
„Hm, nicht so ganz, Consuelo wurde dort schwanger …“, sagte er vorsichtig, worauf das Mädchen ruckartig aufstand und ins Bad verschwand, als habe sie seine deutschen Worte verstanden.
Vincent blickte zu Nuuk und zuckte die Schultern: „Sie ist die erstaunlichste Persönlichkeit, die ich kenne. Sie sieht Geister und weiss allerhand Dinge, die ihr niemand gesagt hat. Dabei sieht sie aus wie ein Kind, das kein Ei von einem Apfel unterscheiden kann.“
Nuuk starrte ihn völlig entgeistert an. Eine Flut unvorstellbarer Informationen wurde da über sie geschüttet und sie wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Schliesslich murmelte sie: „Und ich hatte noch so den Eindruck, in deinem Leben geschieht mehr als in meinem…“
„Ich könnte auch manchmal darauf verzichten“, erwiderte er und grinste breit.
Nuuk sah ihm in die Augen, die nur um ein Weniges dunkler waren als die ihren, aber keine Spur von Blau zeigten. Sie war mit einem Male gerührt, zu Tränen bewegt, wenn sie sich die Erlebnisse seiner jüngeren Vergangenheit und dieses kleinen Mädchens vergegenwärtigte. Wie schrecklich mussten die Tage und Wochen der beiden, jedes einzelnen, gewesen sein. Kein Wunder hatten die Schicksalsschläge sie zusammengeschweisst. Sie seufzte auf.
„Es tut mir so leid“, sagte sie bewegt von Anteilnahme.
„Danke“, erwiderte er und lehnte sich bequem zurück, ihren feuchten Blick erwidernd. Consuelo kehrte aus dem Bad zurück und sah vom einen zum anderen. Dann setze sie sich und senkte den Kopf, um ihr leichtes Erröten zu verbergen.
Es war Vincent die Stadt so nah und so fern wie seine Geburtsstadt oder jeder andere Ort, an dem er gelebt hatte. Vordem er nach Europa zurückgekehrt war, daran erinnerte er sich fest und farbig, hatte er grosse Sehnsucht nach Daheim gehabt. Doch in Luzern war ihm nichts ferner gewesen, als deren wohlgeordnete Unbescholtenheit. Er kannte zwar noch die Eigenheiten und die Flecken, die er zuvor besonders gemocht hatte. Doch sie waren nicht mehr sein Daheim. Dieses war zerschlagen,
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