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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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gewesen. Auf die Art, auf die man verliebt in Kinder ist. Jede zerschmissene Tasse, jede zugeworfene Tür, jede abstruse Sammlung von Dingen in seinem Regal hatte ich mit ihm geliebt. Ich war vermutlich nie besonders gut darin gewesen, es ihm zu zeigen.
    »Werkstatt zur Verbesserung der allgemeinen Gerechtigkeit«, wiederholte Samstag, denn das war das Letzte, was ich gesagt hatte. Ich trank den kalten Kaffee und sah in sein braunes Auge.
    Auf einmal war es mir ein wenig peinlich, dass ich so viel erzählt hatte.
    »Was … halten Sie von der Geschichte?«, fragte ich leise.
    »Nun ja …«, begann er vorsichtig. »Theoretisch ist es möglich, dass dieser Werkstattbericht etwas mit Davids Verschwinden zu tun hat, und mit seinem Auftauchen auf der Autobahn. Aber es ist, das müssen Sie zugeben, nicht sehr wahrscheinlich.«
    »Natürlich.« Ich sah auf meine Hände hinab, meine Finger, die heute so lange über die Tasten der alten Klinikschreibmaschine geglitten waren. Nicht um zu schreiben, sondern um zu lesen. Nicht, um zu erzählen, sondern um zuzuhören.
    »Ich habe immer zu wenig zugehört, fürchte ich«, sagte ich. »David hätte mit mir sprechen können statt mit diesem alten Mann. Über Siddharta und … und über alles. Es war nicht so, wissen Sie, dass ich mich nicht für ihn interessiert hätte. Er schien nur immer so … selbständig. Als bräuchte er niemanden. Und es ist natürlich praktisch, das zu denken, wenn man selbst eine Menge zu tun hat. Ich male, wissen Sie.« Wie belanglos das klang. Ich male. Nicht wie ein Lebensinhalt. Mehr wie: Ich rauche. Oder: Ich lese Krimis. »Wie bitte?«, würde er fragen. Er fragte nicht. Er sagte: »Ja, das weiß ich.«
    »Woher?«, fragte ich. »Kennen Sie etwas von mir?«
    Verstehen Sie? Wollte ich fragen. Verstehen Sie meine grauen Kästchen? Es wäre schön, einmal jemanden zu treffen, der sie versteht …
    »Nein«, sagte er. »Ihr Mann hat es mir erzählt. Gestern.«
    »Claas. Ach so. Hat er … sonst noch etwas über mich erzählt?«
    »Wir haben mehr über Ihren Sohn gesprochen.«
    Ich wollte mich ohrfeigen, als er das sagte; ich sah weg, beschämt. Natürlich ging es nicht um mich.
    »Ja. Sagen Sie …« Ich holte tief Luft, um die Frage zu wagen. »Hat … hat sich denn etwas an seinem Zustand verändert?«
    Samstag schüttelte den Kopf. »Das hätte ich Ihnen sofort gesagt.«
    »Aber es ist auch nicht schlimmer geworden?«
    »Schlimmer … nein.«
    Warum hatte er gezögert? Hatte er sagen wollen: Er liegt im Koma. Es geht nicht schlimmer?
    »Irgendeine Idee, wann er zu sich kommen wird?«
    »Nein.«
    Sein Blick glitt hinüber zu der Ledermappe, die ich auf den Tisch gelegt hatte.
    »Auch wenn es vielleicht nichts mit dem Unfall zu tun hat«, sagte er. »Wenn Ihnen das hilft, also … Sie können die Schreibmaschine jederzeit benutzen.«
    »Danke«, sagte ich. »Ich muss herausfinden, was passiert ist. Verstehen Sie das?«
    Er nickte. »Frau Berek … ich weiß, dass das jetzt kein guter Zeitpunkt dafür ist, aber es gibt keinen guten Zeitpunkt. Wir haben hier noch … die Sachen Ihres Sohnes. Möchten Sie sie mitnehmen, oder können wir … sollen wir sie entsorgen?«
    »Nein!«, sagte ich und merkte, dass ich aufgesprungen war. Davids Sachen wegzuwerfen erschien mir wie ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass man ihn aufgegeben hatte.
    »Ich nehme sie mit«, sagte ich.
    »Sie … sehen nicht mehr sehr gut aus.«
    Sicher, die Kleider waren voll Blut und Dreck, vermutlich hatten sie sie David vom Leib geschnitten.
    »Bis er aufwacht, sind sie gewaschen, repariert und getrocknet«, sagte ich. Thorsten Samstag lächelte ein irgendwie schmerzliches Lächeln. »Der Pullover, den er an dem Tag trug«, sagte ich. »Das war sein Lieblingspullover. Ich weiß noch, wir hatten einen Streit wegen des Pullovers, am Morgen. Ich wollte, dass er etwas Wärmeres anzieht …«
    Ich sah wieder vor mir, wie David in der Haustür stand, in seinen Bluejeans und dem rot-grün-gestreiften Pullover, und mit dem Fuß aufstampfte wie ein sehr viel jüngeres Kind. »Ich. Behalte. Diesen. Pullover. An«, sagte er. »Und jetzt gehe ich. Auf Wiedersehen.«
    Das waren, dachte ich plötzlich, die letzten Worte, die er zu mir gesagt hatte: Auf Wiedersehen. Er sagte sonst nie auf Wiedersehen; es war nichts, was man zu seinen Eltern sagte.
    Jetzt mach aber einen Punkt, Lovis, schalt ich mich selbst lautlos, nicht jedes Detail bedeutet etwas.
    Samstag suchte einen Moment in einem

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