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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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und mich im Spielplatzhäuschen versteckt hatte, um abstrakte Striche zu malen, da hatten die Leute auch über mich eine Menge gesagt. Ich ließ sie reden.
    Ich scheuchte meine müden Füße weiter den Weg entlang.
    Der Gemüsegarten bei dem weißen Haus lag verlassen. Zwischen den Johannisbeerbüschen stand ein Schild: ZU VERKAUFEN. Es versetzte mir einen Stich. Irgendwie hatte ich gedacht, David hätte erreicht, dass die alte Frau in ihrem Haus bleiben konnte. Nun saß sie wohl im fünften Stock des Seniorenheims Friedensstift und konnte das Meer sehen, das ihr nichts nutzte. Oder vielleicht war sie längst gestorben.
    Aber wo war sie in diesem Fall? In einem Paradies? Im Nirwana? Einfach nur tot?
    Natürlich war sie einfach nur tot. Ich glaube nicht an … Dinge. Als ich an diesem Nachmittag erschöpft auf die Verandabank fiel und den schmutzig weißen Hund streichelte, bedauerte ich mit unerwarteter Heftigkeit, dass ich an nichts glauben konnte.

    Ich saß lange auf der Bank und sah in den Garten hinaus wie in ein grünes Meer. Die schwarzen Schafe grasten irgendwo darin wie Schiffe. Es waren Claas’ Schafe, er kümmerte sich um sie. Ich fragte mich, wann oder wo er die Zeit für sie fand.
    Ich fragte mich auch, wo Lotta steckte. Beim letzten Mal hatte ich sie fortgewünscht, jetzt wünschte ich sie her, aber sie kam nicht. Fortwünschen ist einfacher, dachte ich, als herbeiwünschen. Hätte Lotta mir sagen können, wie ich meine Hände auf die Tastatur der Schreibmaschine legen musste, um Davids dritten Eintrag zu lesen? Ich hatte am Morgen versucht, meine Finger auf die unterschiedlichsten Arten zu verschieben, abwärts, aufwärts, seitwärts … nichts hatte funktioniert.
    Schließlich ging ich in die Küche, goss mir ein Glas Wein ein und schälte Kartoffeln. Es war Tage her, seit ich etwas gekocht hatte. Es wäre sicher nett, wenn Claas ein warmes Essen vorfände, wenn er nach Hause kam.
    Seltsam, seit ich im Wald vor mir selbst zugegeben hatte, dass ich ihn nicht liebte, fühlte ich mich besser. Vielleicht, dachte ich, muss man seinen Ehemann nicht lieben. Vielleicht sollte man ihm eine Chance geben, mit einem befreundet zu sein, statt ihm die Schuld daran zu geben, dass man ihn eben nicht mehr liebt.
    Wenn er heute früher kommt, dachte ich, dann erzähle ich es ihm. Dann erzähle ich ihm von der Projektmappe und der Geheimschrift. Und vielleicht können wir uns dann in die Arme nehmen und einfach festhalten, ohne jede Art von verliebter Liebe oder überhaupt Liebe, nur, damit uns warm ist in der Kälte dieser Mainacht. Seit Davids Unfall war mir dauernd kalt. Wenn Claas früh genug nach Hause kommt, frage ich ihn, wie das sein kann, dass mir dauernd kalt ist …
    Er kam nicht.
    Die Pfanne mit dem Essen blieb unangetastet. Ich aß eine halbe Tafel Schokolade und trank noch ein Glas Wein. Schließlich ging ich ins Bett. Und fror dort weiter.
    Ich weiß nicht, was mich weckte. Vielleicht der Wind. Er schlich draußen ums Haus und suchte die unverlorenen Dinge, die keiner finden kann. »Die unverlorenen Dinge«, flüsterte ich und schlüpfte in meine Hausschuhe. »Ein Titel für ein Bild.«
    Die Uhr zeigte zehn Minuten nach zwölf. Das Bett neben mir war noch immer leer. Ich tappte den Flur entlang und fand mich schließlich in Davids Zimmer wieder, trat ans Fenster, sah hinaus in die Dunkelheit.
    Mondlicht lag still auf der Schafswiese. Dahinter ragten die behäbigen Körper von drei Weiden auf, deren Äste immer wieder abgebrochen waren und sich über die Zeit zu einem Gewirr von Abgestorbenem und Lebendigem vereinigt hatten. David war oft auf den Weiden herumgeklettert. Er hatte dort sogar einmal eine Rutsche gehabt, ich hatte sie für ihn gebaut, aus einem einfachen, rot gestrichenen Brett. Die Zeit und der Frost hatten sie längst zerstört, aber ich sah noch vor mir, wie er zum allerersten Mal hinunterrutschte, das goldene Haar fliegend wie ein Farbfleck in der klaren, blauen Luft eines frühen Herbsttages. Ich hatte ihn aufgefangen.
    Aber saß nicht auch jetzt jemand dort zwischen den Ästen, eine kleine Figur auf der mittleren Weide?
    Ich öffnete das Fenster, um besser zu sehen. Da war er wieder, der unsinnige goldene Hoffnungsschimmer. David war auf irgendeine Weise von seinem Krankenhausbett in diese Weide geraten … Das Mondlicht glitt zwischen den Wolken hindurch und beleuchtete die Äste.
    Es war nicht David. Es war Lotta.
    Und sie saß nicht, sie stand. Umgekehrt. Auf dem Kopf. Mitten in

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