Paradies für alle: Roman (German Edition)
ist wie die Tarzanschaukel. Oder das ganze Leben überhaupt. Es geht immer hoch und runter und hoch und runter, in einer weiten Bahn, mal klappt alles und mal gar nichts, und wenn das Licht richtig auf die Dinge fällt, wünsche ich mir, dass Lovis sie malt.
»David«, sagte Lotta. »Du guckst so. Stimmt was nicht?«
»Doch«, antwortete ich. »Ich war … versunken.« Und ich schüttelte die Versunkenheit aus meinem Kopf. »Ich muss zu Celia gehen«, sagte ich. »Aber ich habe eigentlich keine Lust, denn das bedeutet, dass ich zur Marie gehen muss, die ja ihre Mutter ist, und wenn die Marie gerade arbeitet …«
»Du meinst, wenn sie einen Mann da hat?«
»Ja, ich weiß nicht … dann wär es doch blöd, zu klingeln.«
»Wir können hinten in den Garten schleichen und von da durchs Fenster reingucken«, sagte Lotta. »Sie hat die Vorhänge nie ganz zu, weil da Büsche vor sind. Weiß ich von Marcel und Anthony, die schleichen sich manchmal da hin, durch die Büsche, um zu gucken.«
»Danke, nein, ich will aber nicht gucken«, sagte ich. »Ich will nur mit Celia über den Schlüssel für die Kühe sprechen.«
»Ich kann ja für dich gucken, ob einer da ist«, sagte Lotta und sprang von dem Schaukel-Ast. »Komm.«
Es begann zu regnen während wir durchs Dorf gingen, und das silberne Dämmerlicht verschwand langsam hinter dem Horizont. Der Wind jagte ungemütlich um die Häuserecken. Lottas Jacke war zu dünn, und deshalb gab ich ihr meine, weil ich darunter noch einen dicken Strickpullover anhatte, so ein Öko-Ding, nicht schön, aber praktisch. Lotta hat nur zu dünne Jacken.
An der Bushaltestelle saßen fünf von den Bushaltestellenjungs und hatten die Hände tief in den Taschen, weil sie auch froren, nur manche brauchten eine Hand zum Rauchen. Die Zigaretten leuchteten in der Dunkelheit orange, und ich dachte darüber nach, dass man bei Gelegenheit ein Projekt über Farben in der Nacht machen könnte.
Bei der Marie brannte das rote Licht im Fenster wie immer abends, noch eine Farbe in der Nacht.
»Ich komm gleich wieder«, flüsterte Lotta, schob einen neuen Kaugummi in den Mund und ging um das Haus herum, um hinten über den Gartenzaun zu klettern.
Ich stellte mich unter die Straßenlaterne ein Stück weit vom Haus entfernt und wurde nass, weil der Wollpullover keine Kapuze hatte. Lovis sagt immer, meine Haare sehen aus wie ein goldener Helm, wenn sie nass sind, weshalb ich sie später umfärben werde, weil so was irgendwie lächerlich ist.
Ich guckte mir die Haustür an, an der ein Kranz aus Trockenblumen hing, und den Briefkasten, auf den jemand Schlumpfaufkleber geklebt hatte, vielleicht Celia, als sie ein Kind gewesen war. Dann sah ich eine Bewegung im Garten, rechts vom Haus, und zuerst dachte ich, es wäre Lotta, die zurückkam. Aber es war Celia selbst.
Sie war klatschnass und trug einen Korb voll Wäsche, die sie offensichtlich gerade von der Leine genommen hatte, um sie vor dem Regen zu retten, der immer stärker wurde. Aber jetzt hatte sie das wohl vergessen, denn sie stand einfach da, den Korb in den Armen, hob ihr Gesicht zum grauen Abendhimmel und ließ die kalten Tropfen darüber rinnen. Dann stellte sie den Wäschekorb ab, ins nasse Gras, und breitete ihre Arme aus, als wollte sie den Novemberregen begrüßen.
»Celia!«, rief ich leise, doch sie hörte mich nicht. Sie trug ein knielanges Kleid, das ich noch nie an ihr gesehen hatte, irgendwie wirkte es zu teuer für Celia, die sonst nur in ausgeleierten T-Shirts und Trainingshosen herumlief. Das Kleid war hübsch, nur nicht geeignet für November, ein Überbleibsel des Sommers wie eine Erinnerung, die sie nicht loslassen wollte.
Der Regen klebte es eng an ihren mageren Körper, und ich dachte wieder, dass sie um die Mitte herum nicht ganz so mager war. Vielleicht hätte ich das nicht denken sollen, vielleicht breiteten sich meine Gedanken irgendwie aus mir heraus aus, denn in diesem Moment rief jemand: »Ach, guck mal an, die Tochter von der Marie. Tritt jetzt in die Fußstapfen der Mutter, was?«
Celia und ich zuckten gleichzeitig zusammen.
Auf der anderen Straßenseite, gerade außerhalb des Laternenlichts, stand ein Mann im Regenmantel neben seinem Fahrrad. Jetzt schob er es über die Straße, an mir vorbei, ohne mich zu sehen, und trat an den Zaun. Ich kannte ihn, es war der, der immer die Lokalzeitung austrug und ab und zu das rechte Hetzblatt, von dem Claas sagt, man sollte es aufbewahren und sammeln, weil es interessant ist, und das
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