Paradies
»lass mich in Ruhe. Ruf mich bitte nicht mehr an.«
Das Klicken hallte in ihrem Kopf wider, das Gespräch war beendet, Leere kam ihr aus der Leitung entgegen und füllte sie aus.
Sie legte den Hörer auf. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie Probleme hatte, die Gabel zu treffen, und ihre Handflächen waren ganz nass. Sie begann zu weinen, oh, Gott, er wollte sie nic ht haben, er wollte ihr gemeinsames Kind nicht haben, Hilfe, bitte, Hilfe…
Das Telefon auf ihrem Schoß klingelte, und der Schreck ließ sie hochfahren. Jedenfalls rief er an, er rief sie zurück.
Sie riss den Hörer ans Ohr.
»Annika? Hallo, hier ist Berit von der Zeitung. Ich wollte dir nur erzählen, dass wir deine Geschichte über die Stiftung morgen bringen werden… was ist denn los?«
Sie weinte in den Hörer hinein, schluchzte herzzerreißend.
»Aber, meine Liebe«, sagte Berit erschrocken, »was ist denn passiert?«
Sie holte tief Luft und zwang sich dazu, die Tränen zu unterdrücken.
»Nichts«, antwortete sie und wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. »Ich bin nur traurig. Entschuldige bitte.«
»Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, ich weiß ja, wie nahe du deiner Großmutter gestanden hast. Ich wollte dir nur erzählen, dass wir die Artikel jetzt veröffentlichen.«
Annika legte ihre Hand über Nase und Mund und unterdrückte die Tränen.
»Gut«, brachte sie heraus, »wie schön.«
»Am schlimmsten ist die Sache mit Aida, ich komme nicht darüber hinweg«, meinte Berit. »Sie wird übrigens morgen beerdigt, die arme Frau. Sie hatte keine Verwandten, und es hat auch niemand nach ihrer Leiche gefragt, es wird eine kurze Trauerfeier auf dem Nordfriedhof geben…«
»Entschuldige, Berit, aber ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Annika.
»Sag mal«, meinte ihre Kollegin, »brauchst du Hilfe?«
»Nein, nein«, flüsterte Annika, »alles in Ordnung.«
»Du versprichst mir doch, dass du dich meldest, wenn du reden willst?«
»Klar«, hauchte sie.
Schwer und heiß landete der Hörer wieder auf der Gabel. Er wollte sie nicht haben. Er wollte ihr gemeinsames Kind nicht haben.
Er fand auf ganz Kungsholmen keinen Parkplatz. Thomas hatte zwanzig Minuten lang Runden gedreht und keinen gefunden, aber das spielte auch keine Rolle. Er hatte hier nichts zu erledigen, fuhr nur ziellos durch die Gegend, nahm die Scheelegatan, bog rechts in die Hantverkargatan, fuhr langsam an Hausnummer vorbei, den Hügel hinauf, auf die Bergsgatan, am Polizeipräsidium vorbei, hinunter auf der Kungsholmsgatan, dann war er wieder an seinem Ausgangspunkt angekommen.
Er hatte das Richtige getan, das einzig Anständige, Eleonor war seine Frau. Versprechen und Vertrauen waren ihm wichtig, er fühlte sich verantwortlich.
Und dennoch, ihre Stimme heute am Telefon. Er hatte die Fassung verloren und auf eine Weise reagiert, die er nicht wahrhaben wollte, so physisch, so hart. An ein Weiterarbeiten war nicht mehr zu denken gewesen. Er war aus dem Rathaus geflohen und zum Wasser gehastet. Es war windig, und es hatte angefangen zu schneien. Er hatte ihre Stimme gehört und erinnerte sich an ihren Körper, oh, Gott, was hatte er getan? Warum war diese Erinnerung so unerbittlich, so gegenwärtig?
Er blieb im Wind stehen, bis seine Haare und sein Mantel nass von Meerwasser und Schnee waren, war erfüllt von einer leisen, traurigen Stimme. Anschließend ging er langsam in sein leeres Zuhause zurück. Eleonor war bei ihrem Managementkurs. Er nahm den Wagen und fuhr in die Stadt. Er überlegte nicht, wollte nicht denken, fuhr einfach los.
Geh etwas essen, sagte er sich, halte an einer Wirtschaft mit Abendzeitungen und einem Bier.
Einer Wirtschaft auf Kungsholmen.
Er würde keinen Kontakt zu ihr aufnehmen. Er würde standhaft bleiben. Er wollte nur sehen, wie es hätte sein können, wie dieses Leben gewesen wäre, welche Menschen er gesehen hätte, welche Gerichte er hätte essen können.
Was er Eleonor angetan hatte, war unverzeihlich. Die Scham stand ihm die ganze erste Woche ins Gesicht geschrieben, und er hatte sich zwingen müssen, normal zu klingen, normal zu gehen, normal zu lieben. Eleonor hatte nichts gemerkt, oder hatte sie das vielleicht doch?
Anfangs träumte er nachts von Annika, aber in der letzten Zeit war die Erinnerung an sie verblasst, bis heute. Er schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad, verdammter Mist, warum musste sie auch anrufen? Warum konnte er nicht seine Ruhe haben? Es war auch so schon schwer
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