hatte er zuerst geduscht und sich den Qualm und den sonstigen Geruch der Kneipe aus den Haaren gespült. Auch seine Kleidung war komplett in die Wäsche gewandert. Er saß mit seinem Laptop auf der großen Ledercouch im Wohnzimmer, welches an den Seiten mit großen Regalen eingerichtet war, die bis zur Decke reichten. In ihnen fanden sich vor allem Sach- und Geschichtsbücher, aber auch Biografien, Philosophie und Lyrik. Darunter viele wertvolle Erstausgaben aus dem 19. Jahrhundert. Im Moment allerdings las er etwas Moderneres, denn er checkte seinen E-Mail-Eingang. Zwischen all den Spamnachrichten über heiße Frauen und Diätpillen, die er umgehend löschte, fand er auch die Nachricht wieder, die er gesucht hatte.
»
[email protected] « lautete die Adresse des Absenders. Sie war bereits einige Wochen alt und er hatte sie oft genug gelesen, um ihren Inhalt auswendig zu kennen. Dennoch las er sie noch einmal.
Sehr geehrter Mr. Nuri,
bitte finden Sie sich morgen zu Ihrem ersten Arbeitstag bei der Paraforce ein.
Dieser Morgen war jetzt eingetreten. Neben diesem Satz fanden sich noch Uhrzeit und Adresse sowie die Büronummer, die er aufsuchen sollte, in der Mail. Dieser Aufforderung war ein Schriftverkehr zwischen ihm und der UNIPAF, der United Nations International Paranormal Activity Force, vorausgegangen. Doch wenn er an den wirklichen Ursprung dieser Einladung dachte, gingen seine Gedanken einige Jahre in die Vergangenheit. Genauer gesagt bis zurück in das Jahr 1995. Dies war das Jahr, in dem er in die USA gekommen war. Über einige Umwege war er bei der Polizei von New York gelandet. Er war ein kleiner Straßenpolizist gewesen, mehr nicht. Einige Jahre schob er seinen Dienst mit gewissenhafter Gründlichkeit. Bis zu eben jenem Tag, der die Welt für immer verändern sollte. Der 11. September 2001. Der Tag, an dem Amerika angegriffen wurde. Er schloss die Augen und erinnerte sich.
Vergangenheit
Dienstag, 11.09.2001, New York, 8.45 Uhr Ortszeit
Ali saß an seinem Schreibtisch im One Police Plaza in der Park Row. Sein Dienstbeginn war zwar erst um neun Uhr, aber wie immer war er ein paar Minuten früher da, um den Tag in Ruhe beginnen zu können. Er ging den Dienstplan durch, checkte kurz, welche Kollegen anwesend waren und mit wem er gleich auf Streife gehen würde. Dies hatte er zwar schon gestern gewusst, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass sich Pläne hier genauso schnell änderten wie die Meinungen von Politikern. Bobby Crowe war der Name, der neben seinem stand. Er mochte den erfahrenen Mann, der immer die Ruhe behielt. Seit er vor drei Jahren hier seinen Dienst begonnen hatte, war der ältere Kollege so etwas wie ein Freund für ihn geworden. Er lächelte. Wenn Bobby sein Partner war, würde er sicher nicht vor Viertel nach neun hier wegfahren. Crowe trank stets in aller Ruhe seinen Kaffee aus und hielt dann gerne noch ein Schwätzchen mit Kollegen. Dabei vergaß er durchaus auch schon mal die Uhrzeit. Obwohl es völlig gegen seine eigenen Prinzipien war, hatte er sich daran gewöhnt. Bobby war jetzt fast sechzig Jahre alt und würde sich mit Sicherheit nicht mehr von ihm umerziehen lassen, wie dieser immer grinsend feststellte, wenn er ihn freundschaftlich kritisierte. Also hatte er es auch längst aufgegeben und rügte Crowe höchstens noch aus Spaß. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Sein Kopf ruckte hoch. In der Tür stand Flynn, ein Kollege in seinem Alter. Sein Gesicht war kreidebleich.
» Was ist los?«
» Komm mit rüber in den Aufenthaltsraum! Das musst du sehen!«
Bevor er etwas fragen konnte, rannte Flynn davon. Wenn er wissen wollte, was los war, musste er wohl oder übel hinterher. Schnellen Schrittes machte er sich auf den Weg. Im Aufenthaltsraum herrschten Gedränge und lautes Gemurmel. Fast alle Kollegen hatten sich hier versammelt, lautes Getuschel, wie in der Schule kurz vor einer Klassenarbeit, war zu hören. Alle redeten aufeinander ein, doch niemand sah sich an. Alle Blicke waren auf den kleinen Fernseher, der in der Ecke unter der Decke angebracht war, gerichtet.
» Mach doch endlich lauter«, rief jemand. Kurz darauf konnte Ali verstehen, was da aus den Lautsprechern drang.
» Hier ist Cindy Lovell von WNYW. Ich stehe in der Nähe des WTC 1. Es ist 8.51 Uhr Ortszeit und vor genau fünf Minuten ist ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers gestürzt. Dichter schwarzer Rauch dringt aus den oberen Etagen des Wolkenkratzers. Bisher gibt es keine