Paraforce Band 8 - Der Schlag eines Herzens
war.
»Unsere Kollegen sind oben. Da ist kein Durchkommen mehr. Der Qualm bringt dich um ohne Atemgerät. Darum müssen wir auch wieder runter.«
Er nickte und rannte neben den beiden Männern mit der schweren Ausrüstung her. Er verließ die Eingangshalle und versuchte sich zu orientieren. Plötzlich schlug etwas neben ihm auf. Er warf sich zur Seite und rollte sich ab. Geschmeidig kam er wieder auf die Füße. Was war das gewesen? Sein Blick suchte die Stelle, an der er sich gerade eben noch befunden hatte. Dort lag etwas. Etwas? Er erkannte Kleidung. Es war ein Mensch. Der Körper war durch den Aufprall nahezu zerschmettert worden. Der Mann, er vermutete es nur aufgrund der Kleidung, musste vom Turm gesprungen sein. Er legte den Kopf in den Nacken. Doch er sah nur den Qualm. In der gleichen Sekunde schlug etwas ungefähr einhundert Meter von ihm entfernt auf.
» Nein«, schrie er und wich zurück. Es schnürte ihm die Kehle zu, so hilflos zu sein. Er musste Abstand herstellen. Wenn ihn einer dieser verzweifelten Menschen traf, war sein Schicksal besiegelt. Ohne weiter zu zögern, rannte er los. Zurück zu Bobby. Dieser stand immer noch an der Straßensperre, zusammen mit vielen anderen Polizisten.
» Bobby«, rief er, als er in Hörweite war. Mit einem Mal erfüllte ein unglaublicher Lärm die Luft. Es war ein tosendes Grollen, als hätte der Schlund der Hölle sich geöffnet. Zitternd drehte er sich um. Das Gebäude! Der Turm, er brach in sich zusammen! Das konnte doch nicht wahr sein! Ali war zu keiner Regung mehr fähig. Mit einem Ruck wurde er herumgewirbelt.
» Ins Auto, Junge!«
Bobby hatte sich wieder gefangen. Sein Kollege zog ihn mit sich und zusammen ließen sie sich in den Wagen fallen. Eine riesige Staubwolke bahnte sich ihren Weg durch die Straßen von Lower Manhattan.
***
An die folgenden Ereignisse hatte er nur verschwommene Erinnerungen. Es war, als würde der Staub von damals noch immer daran haften und ihn nicht erkennen lassen, was geschehen war. Bobby hatte geweint, daran erinnerte er sich. Sie hatten sich zurückgezogen. Doch er konnte nicht einfach dasitzen und zusehen. Er musste etwas tun. Es war, als hätte er geahnt, dass er schon jetzt etwas von der Schuld wiedergutmachen musste, für die er nichts konnte und die man ihm doch in den nächsten Jahren immer wieder zuzuschieben versuchte. Er hatte sich ein Tuch umgebunden und war zum Nordturm gelaufen. In diesem lief die Evakuierung auf Hochtouren. Dann sah er sich im Turm. Lücke. Er schwebte. Ein Kind auf seinen Arm. Schwärze in den Bildern seiner Erinnerung. Der Zusammenbruch. Erst im Krankenhaus war er wieder wach geworden. Unglaublich geschwächt, fast nicht fähig zu reden. Dabei hatte man so viele Fragen an ihn. Immer wieder bohrte man nach, wollte noch mehr Details wissen. Antworten hatte er keine. Keine, die er geben wollte. Es dauerte Wochen, bis er sich erholt hatte. Danach war er erneut verhaftet worden. FBI sogar. Man zeigte ihm Fotos von Männern, die er nicht kannte. Erst viel später erfuhr er, dass es die Flugzeugentführer waren. Man stellte ihm Fragen zu seiner Herkunft, seiner Familie, seiner Religion. Doch soviel er auch erklärte, es half nichts. Sie verstanden nichts. Er war ein Bahai. Er hasste Gewalt. Und diese grausamen Anschläge verurteilte er zutiefst. Aber für sie war er zurzeit einfach ein Moslem. Einer von denen, die diese Stadt angegriffen hatten. Man glaubte ihm nichts. Und das, obwohl er Polizist war. Obwohl er ein Leben gerettet und dabei sein eigenes riskiert hatte. Doch man konnte ihm nichts nachweisen. Wie auch? Er war ja unschuldig. Kurz nach seiner Entlassung kündigte er seinen Job bei der Polizei. Einzig Bobby Crowe zeigte seine Trauer offen. Ali versuchte, sich aus der Erinnerung zu lösen. Jahrelang hatte er die Geschichte verdrängt. Bis ihn die erste Mail erreicht hatte.
***
Sehr geehrter Mr. Nuri!
Mit genau den gleichen Worten wie die letzte Mail hatte auch die erste begonnen. Auch ihr Absender war gleich geblieben. Zuerst hatte er sie für SPAM gehalten, denn in diesen Ordner war sie gerutscht. Ali konnte nicht mehr sagen, was ihn dazu bewogen hatte, sie trotzdem zu öffnen. Im Nachhinein war er froh, dass er es getan hatte. Denn der Absender, eben jener Jacques Baptiste, schien viel über ihn zu wissen. Dinge, die er niemandem anvertraut hatte. Es gab keine so engen Freunde in seinem Leben, mit denen er über so private Dinge reden würde. Und Familie hatte er nicht wirklich. Von
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